13.05.2014
Am 8. Mai fanden sich zweihundert Leipziger*innen auf dem Lindenauer Markt zusammen, um den "Tag der Befreiung" vom Faschismus zu feiern und gleichzeitig gegen die neuen Nazis im NPD-Zentrum in der nahe gelegenen Odermannstraße 8 zu protestieren. chronik.LE hat für diese Veranstaltung einen Redebeitrag beigesteuert, der hier nachzulesen ist.
In der Odermannstraße 8, im sogenannten "Nationalen Zentrum" der NPD, zu dem wir uns gleich begeben werden, wird am 20. April regelmäßig der Geburtstag des "Führers" gefeiert. 69 Jahre nach dem Sieg der Anti-Hitler-Koaliton, der Befreiung vom Faschismus, gibt es also in Leipzig (und darüber hinaus) immer noch Nazis. Zu deren Aktivitäten und zur Bedeutung des Objekts in der Odermannstraße für diese Szene möchten wir vom Dokumentationsprojekt chronik.LE ein paar kurze Worte sagen.
Das NPD-Zentrum gibt es nun schon seit über 5 Jahren, es wurde im November 2008 offiziell eröffnet. Der NPD-Kreisverband, der hier seinen Sitz hat, hatte zu dieser Zeit einen kleinen Aufschwung. Mit zwei Abgeordneten zog die Partei damals, 2009, in den Leipziger Stadtrat ein. Außerdem gab es eine Reihe von öffentlichkeitswirksamen Aktionen, Demonstrationen usw. Die Kader, von denen dieser Aktionismus wesentlich ausging - genannt seien der damalige sächsische JN-Vorsitzende Tommy Naumann und Istvan Repaczki - haben sich inzwischen jedoch aus der (Partei-)Politik bzw. aus Leipzig zurückgezogen. Auch aufgrund interner Konflikte gab es zwischenzeitlich kaum noch wahrnehmbare Aktivitäten der NPD in Leipzig.
Ende 2011 ist außerdem der langjährige Landesvorsitzende und Landtagsageordnete der NPD, Winfried Petzold, verstorben. Petzold war der Eigentümer des Objekts in der Odermannstraße und hatte hier offiziell ein "Bürgerbüro" betrieben. Konkret heißt das, dass Steuermittel für seine Abgeordnetentätigkeit in das Zentrum geflossen sind. Das Gebäude steht NPD und "freien Kräften" aber auch nach Petzolds Tod weiter zur Verfügung. Petzold hatte das Objekt bereits zu seinen Lebzeiten im Rahmen einer Privatinsovlenz an einen Verwandten überschrieben, der offenkundig weiterhin keine Probleme mit diesen "Mietern" hat.
Im vergangenen Jahr hat sich zunächst die Jugendorganisation der Partei, die JN Leipzig, reaktiviert. Seitdem gibt es auch wieder mehr öffentlich wahrnehmbare Veranstaltungen in der Odermannstraße. Zuletzt etwa im Sommer 2013 mit Holger Apfel (vor seinem erzwungenen Rücktritt als Partei- und sächsischer Fraktionschef). Auch sein Vorgänger als Parteivorsitzender, Udo Voigt, war mehrfach zu Gast. Ebenso Olaf Rose, zusammen mit Voigt Spitzenkandidat der NPD zur Europawahl. Außerdem Landtagsabgeordnete wie Arne Schimmer und Jürgen Gansel. Auch Mitglieder- und Vorstandstreffen des NPD-Kreisverbandes und des Landes- sowie des Bundesvorstands der "Jungen Nationaldemokraten" finden hier statt. Neben solchen Parteiveranstaltungen nutzen die Nazis das NPD-Zentrum auch für sogenannte "Zeitzeugenvorträge" mit ehemaligen Mitgliedern der Waffen-SS, für "nationale Liedermacherabende" und Nazi-Konzerte, für Mobi-Veranstaltungen für Demonstrationen u.v.m.
Die jungen Nazis machen sich nun offenkundig daran, den Kreisverband zu übernehmen. Der langjährige Kreisvorsitzende Helmut Herrmann ist schon zurückgetreten (worden). Interesse an seinem Posten hat bereits vor einiger Zeit Maik Scheffler aus Delitzsch angemeldet. Scheffler kommt selbst aus dem Kameradschaftsmilieu und ist derzeit stellvertretender Landesvorsitzender sowie Kreisvorsitzender in Nordsachsen. Zur Kommunalwahl kandidieren in Leipzig vor allem jüngere, einschlägig bekannte und teilweise hafterfahrene "Kameraden" wie Alexander Kurth (bekannt als "Prinzenschläger" - wegen eines Überfalls auf den Prinzen-Sänger Sebastian Krumbiegel - und Anführer der Kameradschaft "Leipzig-Möckern", ehemaliger "Regionalverantwortlicher" des "Kampfbundes Deutscher Sozialisten" (KDS)), Enrico Böhm (ehemaliger Anführer der Hooligangruppe "Blue Caps LE"), Kai Mose und Karsten Boden (bekannt vom Überfall auf einen Nachtbus mit Besucher*innen des "Courage-Konzert" am Vökerschlachtdenkmal und andere vermeintliche Linke 2008). Der bisherige Stadtrat Klaus Ufer mag dagegen nicht mehr kandidieren. Der zweite 2009 auf NPD-Ticket in den Stadtrat gewählte "Nazi", Rudi Gerhard, ist bereits 2012 aus der Partei ausgetreten.
Um zu verdeutlichen, wes' Geistes Kind diese sich derzeit, während des Wahlkampfes, betont bürgerlich gebenden Nazis sind, hier einige Zitate aus der "Antrittsrede" von Alexander Kurth bei seiner Nominierung zur Stadtratswahl (am 17. Januar 2014): Das Stadtparlament bezeichnet Kurth in antisemitischer Manier als "Knesset an der Pleiße". Kommunalpolitiker*innen werden als "selbsternannten Demokraten" bezeichnet. Diese seien "nichts weiter [...] als Vergewaltiger deutscher Interessen". In bester nationalsozialistischer Ungeziefermetaphorik werden die Politiker*innen und Oberbürgermeister Burkhard Jung schließlich als "Läuse im Filz der korrupten Politik im Leipziger Rathaus" diffamiert. Man kann sich ausmalen, worauf der "nationale Angriff" - als dessen ersten Phase Kurth die Kandidatur der NPD zur Stadtratwahal verstanden wissen möchte - hinauslaufen soll.
Wie vor fünf Jahren wird der Sitz des NPD-Kreisverbandes jetzt wieder von einigen Stadtratskandidaten als Meldeadresse genutzt: So von Daniel Speck, der immerhin auch hier im Wahlkreis 5 kandidiert, aber auch von Alexander Kurth, der für den nördlichen Wahlkreis 9 in den Stadtrat will. Momentan sind beinahe täglich Neonazis in der Odermannstraße 8 zu Gang: Das Gebäude hinterm Zaun dient natürlich auch als Ausgangspunkt für deren Wahlpropaganda.
Das zeigt: Bei allen personellen Umbrüchen spielt das NPD-Zentrum nach wie vor eine entscheidende, stabilisierende Rolle für die NPD und darüber hinaus für die lokale, die regionale und überregionale Nazi-Szene. Aus den "Schulungszentren" im Leipziger Umland, mit denen sich die Partei vor einiger Zeit gebrüstet hat, ist beispielsweise nicht viel geworden. Daher dient die Odermannstraße auch als Treffpunkt für Nazis aus dem Umland. (Auf die engen Kontakte zu Maik Scheffler aus Nordsachsen wurde bereits hingewiesen.)
Obwohl das Nazi-Zentrum also derzeit vor allem als Ort für interne Veranstaltungen und Vernetzungsaktivitäten fungiert und die Nazis nicht mehr versuchen, unmittelbar in den Stadtteil hinein zu wirken, gehen von den Nazis in der Odermannstraße 8 weiter Übergriffe und Bedrohungen aus. So beispielsweise beim Angriff auf die Gäste eines Sommerfestes des Kunstvereins D21 im August 2012. Zu den Angreifern gehörten damals bezeichnenderweise Leute aus dem Umfeld der Hooligan-Gruppe "Scenario Lok". In letzter Zeit häufen sich zudem wieder nächtliche Attacken auf linke und alternative Hausprojekt und Wagenplätze in Lindenau und Plagwitz.
Mit 58 rechtsmotivierten & rassistischen Übergriffen in ganz Leipzig nahm die Stadt im vergangenen Jahr laut der Statistik der Opferberatung der RAA Sachsen den absoluten "Spitzenplatz" bei rechter Gewalt in Sachsen ein. Umgerechnet auf die Einwohner*innenzahl ist Leipzig zusammen mit dem Landkreis Nordsachsen (auf die engen Kontakte zwischen der NPD in Leipzig und Nordsachsen wurde bereits hingewiesen) ebenfalls "führend" in dieser Statistik. Auch wenn diese Übergriffe nicht alle auf NPD-Mitglieder bzw. Nutzer/innen der Nazizentrums zurückgeführt werden können, trägt die Partei zweifelsohne mit zu einem enstprechenden rassistischen Klima bei. U.a. in Form angeblicher "Bürgerinitiativen" in Gohlis und Schönefeld, bei denen es sich tatsächlich nur um eher schlecht getarnte Vorfeldorgansiationen der Nazis handelt. Die Odermannstraße 8 stellt für all diese Aktivitäten wichtiges Organisationszentrum dar.
Im Zuge des Wahlkampfes setzt die NPD nun mangels anderer Themen (neben der Hetze gegen Asylsuchende und Andersgläubige) auch auf die Erzeugung eines massiven Bedrohungspotenzials gegen NPD-Gegner*innen: Es wird über einen angeblichen "Rot-Front-Terror" geklagt, Antifaschist*innen werden namentlich bedroht. Verklausuliert heißt es, man werde zu "Maßnahmen des aktiven Selbstschutzes" greifen. Bei den Sitzungen des Stadtrates treten die NPD-Nazis zunehmend aggressiv in Erscheinung: So bei der Übergabe der Anti-Moschee-Petition der angeblichen Bürgerinitiative Gohlis im April. Bereits bei der Sitzung zuvor im März wurde die Linken-Stadträtin JuleNagel von Kurth & Co. bedrängt. Auf Facebook verkündeten die Nazis danach sichtlich erfreut: "Als wir zumindest Frau Nagel zu den jüngsten Vorfällen linksextremer Gewalt ansprechen wollten, ergriff sie die Flucht."
Sollte der NPD der Wiedereinzug in den Stadtrat gelingen, werden die jüngeren Nazis um Alexander Kurth und Enrico Böhm sicher auch als gewählte Abgeordnte in dieser Art agieren, also weitaus aggressiver als der ausgemusterte Opa Klaus Ufer. Dann wird die Bedeutung der Odermannstraße 8 als Anlaufstelle und Organisationszentrale zumindest nicht abnehmen. Andernfalls könnte es dagegen eng werden: Der Landtagseinzug der NPD ist derzeit zumindest fraglich, außerdem wurden NPDler aus Leipzig (und Nordsachsen) auf der Landesliste nur auf hinteren, aussichtslosen Listenplätzen platziert. Ob die Leipziger Nazis im Falle eines ebenfalls unsicheren Einzugs der NPD ins Europaparlament von ihren guten Beziehungen zu Udo Voigt profitieren könnte, ist ebenfalls unklar.
So oder so wird sich das Nazi-Problem nicht von heute auf morgen erledigen. Wahrscheinlich müssen wir auch im nächsten Jahr, zum 70. Jahrestag des Sieges über den Faschismus, wieder hier demonstrieren. Aber auch an allen anderen Tagen, in Lindenau und in anderen Stadteilen und über Leipzig hinaus, heißt es Flagge zeigen gegen alte und junge Nazis, gegen "ganz normale" Rassist/innen, Nationalist/innen und andere Menschenfeinde!
Wir von chronik.LE werden deren Aktivitäten weiter kritisch beobachten und auf unserer Internetseite www.chronikLE.org dokumentieren. Wenn Ihr selber Betroffene oder Zeug*innen von faschistischen, rassistischen oder anderen diskriminierenden Vorfällen werden solltet, dann meldet euch bei uns!
Zuletzt aktualisiert am 09.09.2014