22.06.2019
Wir wurden angefragt heute einen Redebeitrag über die Normalität Rechter Gewalt zu halten. Was bedeutet diese Normalität heute?
Normalität Rechter Gewalt heute heißt, dass letztes Jahr in Deutschland mindestens 1495 Angriffe aus rassistischen, antisemitischen, homo- und transfeindlichen und anderen menschenfeindlichen Motiven registriert wurden.[1] Dass sind mehr als drei Angriffe jeden Tag. Allein in Sachsen wurden 317 – und damit die meisten – dieser Angriffe verübt.
Normalität rechter Gewalt bedeutet, dass man als rassistisch markierte Person jederzeit im öffentlichen Raum angegriffen, beleidigt, bedroht und bespuckt werden kann. Normalität rechter Gewalt bedeutet aber auch, dass man als Schwarze, PoC oder Mensch der seinen Glauben (oder seine Sexualität) offen zur Schau trägt, Gefahr läuft im Alltag ständig kontrolliert, kriminalisiert, gemieden oder ausgeschlossen zu werden.
Normalität rechter Gewalt heißt auch nicht gehört zu werden, wenn man von seine Erlebnissen und Erfahren spricht, nicht ernst genommen zu werden, wenn man sich unsicher und bedroht fühlt, ständige Relativierungen und oft Täter-Opfer-Umkehr ertragen zu müssen.
Normalität rechter Gewalt heißt deshalb vor allem Normalisierung rechter Gewalt. Zu dem der zuschlägt, zusticht, tritt, schießt oder mit seinem Auto in die Menge rast, zu diesen Tätern gehören immer jene die Schweigen und die Relativieren.
Über die Normalität rechter Gewalt zu sprechen heißt deshalb für uns vor allem diese Normalität nicht zu akzeptieren und diejenigen in Verantwortung zu ziehen, die Schweigen, die Relativieren und sich ihren „freien Meinung“ bedienen um andere ihrer Menschenwürde zu berauben.
Auch wenn der Mord an Walter Lübcke in einer langen Tradition rechten Terrorismus in der Bundesrepublik steht, offenbart er den moralischen und politischen Bankrott der politischen Repräsentant*innen Landes wie kein anderes Ereignis. Walter Lübcke war Politiker der CDU, jener Partei, die Asyl- und Migrationsrechte beständig verschärft, die die Abschottung Europas im Mittelmeer mit zu verantworten hat und damit auch den Tot Tausender in den letzten Jahren.
2015 als hunderttausende sich selbstbestimmt auf auf den Weg aus Bürgerkrieg und Verfolgung, Hunger und Klimakatastrophen nach Europa gemacht hatten, verteidigte Lübcke das Recht auf Asyl und die Menschenwürde wortstark gegen Rassisten. Noch 2019 wurde er dafür so sehr gehasst, das er sterben musste. Gehasst von seiner ehemaligen Parteikollegin Erika Steinach, gehasst von diversen AfD-PolitikerInnen im ganzen Land und wahrscheinlich ermordet von einem Mitglieder der Terrorgruppe Combat 18.
Auch jetzt, wo der Rechter Terror die „bürgerliche Mitte der Gesellschaft“ selbst trifft, wo die Werte und Normen des Grundgesetztes, seine Repräsentant*innen selbst zum Ziel dieses Terrors werden – auch jetzt gibt es keinen gesellschaftlichen Aufschrei, keine Erkennen, keine Selbstreflexionen, keine Umkehren jenseits der gesellschaftlichen Linken.
Vielmehr ereignen sich zeitlich unmittelbar nach dem Bekanntwerden der neonazistischen und rechtsterroristischen Hintergründe des Tatverdächtigen und der erneuten „Unfähigkeit“ der Sicherheitsbehörden merkwürdige Dinge: der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck wirbt dafür mit Rechten zu reden, das Mitglied der Werteunion Max Otte spricht von einer „Hetze gegen die rechte Szene“. In Sachsen-Anhalt werben führende CDU-Politiker dafür gemeinsame Sache mit der AfD zu machen. All dies klingt so als ob diese CDU-Politiker den Mord an ihrem Parteikollegen entweder nicht mitbekommen haben oder aber er ist ihnen egal.
Die Konsequenz des Mordes an Walter Lübcke sollte für uns, im Gegensatz zu den genannten Personen, klar sein: eine lückenlose Aufklärung der Tatumstände und Hintergründe sowie die Zerschlagung der dahinterstehenden rechtsterroristischen Strukturen. Für eine Unterstützung von Betroffenen rechter Gewalt und Hinterbliebenen rechter Morde. Für eine klare Kante gegen rechts.
In Gedenken an die nunmehr mindestens 170 Todesopfer rechter Gewalt in Deutschland seit 1990![2]
[1] Oftmals weichen die Zahlen von unabhängigen Beratungsstellen deutlich von denen der Polizei und Behörden ab. Laut Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt e.V. (VBRG) stieg die Anzahl der Angriffe von mindestens 1394 in 2017 auf 1495 in 2018. Da es nicht in allen Bundesländern gleich aufgestellte Beratungsstellen gibt umfasst die Statistik allerdings nicht alle Bundesländer. Mehr Informationen unter beim VBRG.
[2] Die Bundesregierung erkennt offiziell lediglich 75 Todesopfer rechter Gewalt. Unabhängige Recherchen von Journalist*innen und Antifaschist*innen zeichnen allerdings immer wieder ein anderes Bild. Nach Recherchen von Tagesspiegel und Zeit gibt es seit 1990 mindestens 169 Todesopfer. Dazu kommen weitere Verdachtsfälle. Mehr Infos in der interkativen Karte.
Zuletzt aktualisiert am 23.06.2019