How to talk about... Plädoyer für einen nicht-diskriminierenden Sprachgebrauch

22.02.2011

Sprache ist nicht „neutral“. Tagtäglich verwendete Redeweisen, Begriffe und inhaltliche Zusammenhänge dienen uns einerseits als Ausdrucksmittel unseres Denkens. Andererseits prägt und strukturiert die von uns verwendete Sprache dieses Denken in einer Art und Weise, die wir uns selten vergegenwärtigen. Ein bewusster und verantwortungsvoller Umgang mit Sprache kann einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung von Diskriminierung in unserer Gesellschaft leisten.

Die Erkenntnis ist nicht neu: Der bewusste Einsatz von Sprache hat schon vielfältigen Interessen dazu gedient, das Zusammenleben in der Gesellschaft zu beeinflussen – nicht immer in progressiver Weise. So hat Viktor Klemperer in seinem Werk „Die LTI – Notizbuch eines Philologen“ von 1947 eindrucksvoll beschrieben, wie die Nationalsozialisten mit Hilfe einer bestimmten Sprache ihre menschenverachtende Ideologie in den Köpfen der Leute verankern konnten. Er kommt zu der Erkenntnis, dass es weniger einzelne Schriften, Flugblätter oder Reden waren, die die Menschen beeinflussten, sondern vielmehr die beständige Wiederholung der immer gleichen, mit nationalsozialistischen Vorstellungen besetzten Begriffe. Beispielhaft genannt seien hier die überschießende Verwendung der Worte „heldenhaft“ und „Heldentum“ bezogen auf die Naziführung oder die positive Verwendung des Begriffes „fanatisch“, die eine besonders gefestigte nationalsozialistische Gesinnung bezeugen sollte. Klemperer nimmt in LTI schon vorweg, was in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zum Konsens in der psycholinguistischen Forschung werden sollte: Den Zusammenhang von Sprache und Denken. Die Benutzung von Sprache ist demnach nicht einfach nur Ausdrucksmittel dafür, was wir unabhängig von der Sprache denken.

Sprechen und Schreiben sind nicht nur bloßer Ausdruck von individuellen Meinungen, Überzeugungen oder Tatsachen. Der Zusammenhang ist wesentlich komplexer. Sprache ermöglicht es uns erst, die Welt um uns zu erkennen. Wenn wir für etwas keine Worte haben, können wir auch es auch nicht ausdrücken. Für all Jenes für das uns Worte zur Verfügung stehen, prägen diese Worte und die mit ihnen verknüpften Vorstellungen entscheidend, wie wir unsere Welt wahrnehmen. Die Sprachwissenschaftlerin Senta Trömel-Plötz fasst zusammen: „Mit Sprache schaffen wir unseren Lebenszusammenhang, unsere Wirklichkeit und unsere Sicht der Welt.“

Sprechen ist soziales Handeln


Sprache bildet sich während ihrer alltäglichen Benutzung, im vielfältigen gesellschaftlichen Handeln. Aus diesem Grunde ist sie beständiger Veränderung unterworfen, was jede schnell merkt, die sich zum Beispiel heute einen Film aus den 1950er Jahren ansieht oder eine 30 Jahre alte Zeitung aufschlägt. Die zu einer Zeit gültigen Sprachregelungen, die wiederholt gebraucht und verstanden werden, sind somit auch Träger eines zu einer spezifischen Zeit gültigen Wissens. Auf die Sprache des Dritten Reiches bezogen zum Beispiel das „Wissen“ darum, dass es sich bei Nazis um Helden handele oder Fanatismus etwas Gutes sei. Dass wir heute mehrheitlich anderer Auffassung sind, spiegelt erfreulicherweise einen Wandel in unserer Denkwelt als auch in unserem Sprachgebrauch wieder.

Nichtsdestotrotz verweist dieses Beispiel auf den Umstand, dass es auch heute noch weit verbreitete Sprachregelungen gibt, mit denen Wertauffassungen oder ein spezifisches Wissen verbunden sind, die einer Gesellschaft, die nach Gleichberechtigung für alle in ihr lebenden Menschen strebt, entgegenstehen. Eine gewisse Sensibilität dafür, dass Sprache nicht nur bloße Äußerung, sondern ein Akt des Handelns ist, der Denken, Handeln und Fühlen anderer positiv wie negativ beeinflussen kann, sollte uns als Sprach-Handelnde auf eine bewusste Benutzung unserer Worte hinlenken.

Alles schön politisch korrekt?


Der Zusammenhang von Sprache und Diskriminierung wurde erstmals intensiv in den 1950/60er Jahren unter dem Begriff „political correctness“ („PC“) in den USA öffentlich thematisiert. Dem damals noch offen in der amerikanischen Gesellschaft verankerten Rassismus wurde damit auch auf Ebene der Sprache begegnet. Die schwarze Bürgerrechtsbewegung und ihre Unterstützer*innen erkannten, dass sich das tief in den Köpfen der Bevölkerung verankerte rassistische Denken tagtäglich auch durch die Benutzung abwertender Begriffe wie zum Beispiel „N-Wort“ oder „Boy“ reproduzierte. In den folgenden Jahrzehnten gelang es der PC-Bewegung, rassistischen Sprachgebrauch aus dem öffentlichen Leben in den USA weitgehend zurückzudrängen. Auch wenn Rassismus in den USA damit bis heute nicht endgültig beseitigt ist, ist doch in der Bevölkerung ein gewisses Bewusstsein für die Problematik diskriminierenden Sprachgebrauchs weit verbreitet.
Nach Deutschland schwappte die Diskussion um politisch korrekten Sprachgebrauch in den 1980er Jahren, vor allem über die feministische Bewegung. Hier stand die Frage der Geschlechterdiskriminierung durch Sprache im Vordergrund der Debatte. Die feministische Sprachkritik offenbarte eine bislang öffentlich kaum wahrgenommene männliche Dominanz im alltäglichen Sprachgebrauch. Die Kritik und Verbesserungsvorschläge mündeten jedoch rasch in eine emotionale Kontroverse, die bis heute die Gemüter erregt. Von Unverständnis bis hin zu offener Befürwortung noch immer existierender realer Diskriminierungen von Frauen in der Gesellschaft reicht die Ablehnung, die den Vertreter*innen eines „politisch korrekten“ Sprachgebrauchs entgegen gebracht wird.
Die Debatte um nicht-diskriminierenden Sprachgebrauch weitete sich in den 1990ern rasch auf die Thematik Migration und Integration aus, nachdem Anfeindungen und Gewalttaten gegen Nicht-Deutsche nach der Wende dramatisch zugenommen und Politiker*innen sowie Medien nicht selten zur rassistischen und menschenverachtenden Stimmung ihren Beitrag geleistet hatten. Dabei ist „political correctness“ inzwischen von Seiten ihrer Gegner*innen selbst zu einem Schimpfwort verkommen. Galt der Vorwurf nicht „PC“ zu sein bis in die 1990er hinein noch als Stigma, so dient sein Gegenteil inzwischen als beliebte Selbstbezeichnung für reaktionäre und rassistische Gruppen und Einzelpersonen. Beispielsweise versammeln sich auf der Webplattform „Politically Incorrect“ seit einigen Jahren immer mehr Nationalisten und Rassisten, die in verschwörungstheoretischer Manier einen Gegenpol zu einer angeblichen Meinungsdiktatur errichten wollen. Ähnlich erfreuen sich Befürworter*innen der rassistischen Äußerungen Thilo Sarrazins an dessen „Tabubrüchen“ gegen eine angeblich „übertriebene Political Correctness“.[1]

Fehlgeleitete Debatten


In den deutschen Kontroversen um Sprachkritik und „Politische Korrektheit“ ist einiges schief gelaufen, das geeignet war und ist, die ursprünglichen Anliegen und Probleme, die mit dem Ansatz aufgezeigt werden sollten, aus den Augen zu verlieren. Sieht man mal von alljenen Sexisten, Rassisten und Antisemiten ab, die tatsächlich glauben, dass es okay sei die jeweils als „anders“ Identifizierten zu diskriminieren (eingeschlossen all jenen, die von sich behaupten: „Ich habe ja nichts gegen Frauen / Ausländer / Juden, aber...“), bleiben immer noch sehr viele Menschen übrig, die sich trotz grundsätzlicher Sympathie für Gleichberechtigung und Anti-Diskriminierung von den Ansätzen und Forderungen der Sprachkritik zunächst abgeschreckt fühlen. Daran haben sicherlich auch Vertreter*innen von PC-Forderungen einen Anteil. Schon in der Formel der „Korrektheit“ schwingt ein unangenehmer Ton besserwisserischer Weisheit oder eines Besitzes von „Wahrheit“ mit, der nicht gerade geeignet scheint, Misstrauen gegenüber der grundsätzlichen Idee abzubauen.

Mit dem Ziel Menschen beizubringen, wie sie „richtig“ sprechen sollen und dafür gleich auch die passenden Begriffe und grammatikalischen Konzepte zu liefern, fühlen sich die weniger Aufgeschlossenen schnell bedrängt. Sich der unangenehmen Erkenntnis zu stellen, selbst durch den Gebrauch diskriminierender Sprache zu einem umfangreichen gesellschaftlichen Problem beizutragen, erfordert ein hohes Maß an Selbstreflexion und Kritikfähigkeit. Bisweilen vermuten die Kritisierten gar, dass die sie Belehrenden ihnen Sympathie mit der entsprechenden Diskriminierungsform unterstellen – und blocken aus diesem Grund das an und für sich unterstützte Anliegen ab. Als selbstverständlich betrachtete, im Rahmen der Sozialisation erworbene (Sprach-)Handlungen zu hinterfragen, zu ändern oder aufzugeben, erscheint darüber hinaus auf den ersten Blick als großer Aufwand für ein womöglich doch nicht allzu großes Problem. Vertreten kann eine solche Position selbstverständlich nur, wer sich selbst nicht als Betroffene von Diskriminierung sieht.

Problembewusstsein schärfen, Orientierungshilfen geben


Vorwürfe von „Meinungsdiktatur“ und „Maulkörben“ gegen Forderungen zur Verwendung nicht-diskriminierender Sprache sind selbstverständlich Quatsch und spiegeln eine reaktionäre Abwehrhaltung ihrer Kritiker*innen wieder. Primäres Ziel der Sprachkritik ist nicht das Verbot von Begriffen oder der bloße Ersatz eines Wortes durch ein anderes, wohlklingenderes. Anliegen ist stattdessen darauf zu verweisen, was Menschen durch die Verwendung bestimmter Ausdrücke AUCH sagen, beziehungsweise welche wesentlichen Aspekte von Gesellschaft dadurch VERDECKT und unsichtbar werden.

Carl Friedrich Graumann von der Universität Heidelberg zufolge wirkt soziale Diskriminierung durch Sprache mit Hilfe von drei verschiedenen Funktionen: Sie sorgt für die soziale Trennung „der Anderen“ von einer „Normgruppe“ (z.B. Frauen/Männer, Migranten/Deutsche), die Abwertung dieser „Anderen“ und die Fixierung dieser Abwertung durch Zuschreibung dauerhafter Eigenschaften und Typen. Die fixierte Abwertung ist durch das gesellschaftlich geteilte Wissen in bestimmten Begriffen und Redeweisen einbeschrieben und trägt sich mit ihrer wiederholten Verwendung in der Gesellschaft fort. Nachvollziehbar zum Ausdruck bringt das folgender Auszug aus einem Protestschreiben an den Fernsehsender KIKA wegen einer diskriminierenden Bildunterschrift: Der Sender hatte bei einem schwarzen Jungen als einzigen einer vorgestellten Fußballmannschaft zusätzlich zu seinem Namen dessen Herkunft eingeblendet. Der die Diskriminierung rügende Autor teilt mit: „Sie denken vielleicht, dass ich überreagiere. Aber bedenken sie, es sind die ‚kleinen’ Aussagen und die unterschwelligen Ausgrenzungen die zu der Ausgrenzung führen. Es ist das ständige kleine Gift, dass den Unterschied betont und die Ausgrenzung fördert.“

Dieses Beispiel verweist auf eine entscheidende Tatsache in der Bewertung von Diskriminierung durch Sprache. Sie ist in erster Linie eine Wahrnehmung von Betroffenen, die durch Sprache als „anders“ markiert, einem Zustand des „Normalseins“ gegenübergestellt werden. Die Sprachhandlungen der „Normalen“ – zum Beispiel Weiße, Deutsche, Männer – reduzieren Menschen durch bestimmte Benennungen wie „Zigeuner“, „Behinderte“ oder „Farbige“ auf eine jeweilige Andersartigkeit sowie geringere Wertigkeit. Gegen solche Tendenzen sollte das Selbstbenennungsrecht der jeweiligen Gruppen für einen nicht-diskriminierenden Sprachgebrauch Berücksichtigung finden.

Für ein nachhaltiges Zurückdrängen von Diskriminierung in der und mit der Sprache muss es langfristig darum gehen, die unter der Sprachoberfläche befindlichen Denk- und Ordnungsschemata offenzulegen und zu hinterfragen. Die Kritik an gängigen Sprachmustern sowie der bewusste Gebrauch von Sprache können hierbei einen wichtigen Beitrag leisten. Die vielen dabei in die Diskussion gebrachten Vorschläge sind in erster Linie als Orientierungshilfen zu betrachten, um den Defiziten bisherigen Sprachgebrauchs etwas entgegen zu setzen. Sie sind deshalb nicht „richtiger“ als andere Redeweisen. Aber sie sind weniger diskriminierend, sie weisen darauf hin, dass die/der Sprechende ein Problembewusstsein hat und erzeugen – das erscheint am allerwichtigsten – eine Sensibilisierung bei Zuhörer*innen und Leser*innen. All das sollte doch ein wenig „Mühe“ wert sein.

Beispiel Sexismus: Frauen sind nicht mitgemeint


Der Schwerpunkt der deutschen Debatte über Sprache und Diskriminierung liegt seit den 1980er Jahren in der Feststellung, dass Frauen durch bestimmte Aspekte der Alltagssprache diskriminiert werden. Die feministische Sprachkritik hat im Wesentlichen drei Punkte identifiziert, die zur sprachlichen Diskriminierung des weiblichen Geschlechts beitragen: Erstens spiegelt die allgemeine Verwendung des Maskulinums für Personen unterschiedlichen Geschlechts (also z.B. Politiker, Professor, Mechaniker) eine überkommene Ungleichbewertung der Geschlechter wider. Dies lässt sich anhand historischer Quellen belegen, die die grundsätzliche Verwendung männlicher Geschlechtsbezeichnung mit einer generellen Überlegenheit des Männlichen begründen.

Zweitens führt die Uneindeutigkeit der sprachlichen Form dazu, dass nicht deutlich wird, ob die Verwendung einer maskulinen Form nun tatsächlich nur Männer oder alle Geschlechter bezeichnet. Beispielhaft sei folgender Satz aus einer Ausgabe der ZEIT zitiert: „Junge qualifizierte Ausländer werden die Mühsal, Deutsch zu lernen, nur auf sich nehmen, wenn es sich langfristig für sie lohnt, ...wenn sie sich also fest niederlassen, selbständig machen, Frau und Kinder mitbringen dürfen“. Dieses Beispiel verweist ebenfalls auf den dritten Kritikpunkt: Frauen sind aufgrund der Beschaffenheit des Deutschen in Sprache und Denken weniger sichtbar. Das gängige Gegenargument, dass Frauen mit Verwendung der männlichen grammatischen Form ja „mitgemeint“ seien, kann durch empirisch-psychologische Experimente widerlegt werden. Werden Testpersonen beispielsweise gebeten einen a) „Lieblingsmusiker“, b) „Lieblingsmusiker oder Lieblingsmusikerin“ oder c) „LieblingsmusikerIn“ zu benennen, erhält man sehr unterschiedliche Ergebnisse bezüglich der Verteilung von männlichen und weiblichen Antwortkandidat*innen.

Zur Umgehung dieser Probleme für einen nicht-diskriminierenden Sprachgebrauch hat die Sprachkritik vielfältige, theoretisch gut begründete Vorschläge vorgebracht. Die Verwendung des Binnen-I (LieblingmusikerIn) gelangte in den 1980er Jahren vom feministischen Diskurs in viele andere Bereiche der Alltagssprache. In den 1990ern wurde diese Variante mit einem Unterstrich weiterentwickelt (Lieblingsmusiker*innen), um alle möglichen Lebensweisen außerhalb der hegemonialen Zweigeschlechtlichkeit mit einzubeziehen und sichtbar zu machen. 1993 veröffentlichte die deutsche UNESCO-Kommission „Richtlinien für einen nicht-sexistischen Sprachgebrauch“, die neben dem Binnen-I auch eine Reihe „kreativer Varianten“ enthält, die deutsche Sprache in nicht-sexistischer Weise einzusetzen, ohne dafür gängige Regeln der Grammatik neu zu definieren.[4]

Beispiel Rassismus: Medien und Migrant*innen


Die Leipziger Volkszeitung berichtete am 8. Februar 2010 von einem nichtigen Ladendiebstahl („Pralinen und Bodylotion“) in einem Reudnitzer Supermarkt und reibt den Leser*innen gleich im ersten Satz unter die Nase, dass es sich bei den Tatverdächtigen um ein „rumänisches Trio“ gehandelt habe. Immer wieder ist es Praxis von Polizei-Pressemitteilungen sowie Medienberichten, die nationale oder ethnische Herkunft von nicht-deutschen Tatverdächtige in Strafsachen zu nennen, auch wenn diese in keinem erkennbaren Zusammenhang zur Tat steht. Für die Lesenden trägt dieser eingeschleuste Hinweis nichts zum Verständnis bei. Stattdessen fördert und festigt die nicht sachgerechte Verknüpfung von Kriminalität mit nicht-deutscher Herkunft bestehende rassistische Vorurteile in der Bevölkerung über „Ausländer“. Der Pressekodex des Deutschen Presserates verlangt daher: „In der Berichterstattung über Straftaten wird die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht. Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte“ (Richtlinie 12.1 des Pressekodex). Leider halten sich die LVZ sowie die Pressestelle der Leipziger Polizei bislang nur ungenügend an diese Anforderungen. [2]
Auch abseits von Strafsachen herrscht mediale Unsicherheit, wie bestimmte nicht-weiße Menschen zu bezeichnen seien. Zwar ist die rassistische Vokabel „N-Wort“ in der Presse mittlerweile kaum noch zu finden. Stattdessen liest man aber immer wieder andere seltsam anmutende Bezeichnungen wie „Farbige“ oder „Schwarzafrikaner“ zur Beschreibung von Menschen mit schwarzer Hautfarbe. Eine kritische Auseinandersetzung hierzu liefert das schwarze Media-Watch-Blog „Der braune Mob“. Die Betreiber*innen verweisen auf die mangelnde Präzision dieser Begriffe, die eher dahingehend wirken, dass rassistische Stereotype über „Afrikaner“ weiter fortgeführt werden: „Die Verwendung von ‚schwarzafrikanisch’ ermöglicht es, über Kulturen zu schreiben oder vorzutragen, ohne über diese recherchiert zu haben, und trotz Unkenntnis vielseitige pauschalisierende Deutungen vorzunehmen.“ Zur Bezeichnung von schwarzen Menschen bevorzugen die Autor*innen entsprechend ihres Selbstbenennungsrechts schlicht die Bezeichnung „schwarze Menschen“. [3]

Beispiel Neonazismus: Das Problem ist nicht „(Rechts-) Extremismus“


Medien berichten immer wieder über Übergriffe und Gewaltvorfälle von „Extremisten“, lokale Bürgerbündnisse schließen sich zum Kampf gegen „Extremismus“ zusammen, die Bundesregierung stellt in Programmen gegen „(Rechts-)Extremismus“ Gelder zur Verfügung. Gemeinsam ist all diesen Initiativen ihre verschobene Problemperspektive, die sich unnötigerweise an eine wirkmächtige Deutung des politischen Spektrums deutscher Ordnungsbehörden – der Bundes- und Landesämtern für Verfassungsschutz – anlehnt.

Die Ereignissammlungen auf chronik.LE bestätigen: das Problem in Sachsen sind nicht die „Extremisten“, die die demokratische bürgerliche Mitte bedrohen. Das Problem sind organisierte und nicht-organisierte Neonazis, die weitgehend widerspruchsfrei in einem gesellschaftlichen Klima agieren, das selbst von Rassismus und anderen diskriminierenden Ideologien durchsetzt ist – bis hin zu offenen Kooperationen von „Bürger*innen“ und „Nazis“ zum Beispiel bei einer Demonstration in Torgau am 14. August 2010. Das Forum für Kritische Rechtsextremismusforschung (FKR) empfiehlt Journalist*innen und Mitarbeiter*innen in Bereichen der Öffentlichkeitsarbeit daher auf Begriffe aus dem semantischen Feld des „Extremismus“ zu verzichten.

Insbesondere suggeriert die Verwendung des Extremismusvokabulars eine Symmetrie von Rechts- und Linksextremismus, die unter anderem in der Forderung mündet, antirassistische Arbeit durch Arbeit „gegen Linksextremismus“ gleichsam „auszugleichen“. In einem besonders absurden Fall in Limbach-Oberfrohna führte diese Art der Problematisierung zum Ausschluss der Partei Die Linke aus dem lokalen „Bürgerbündnis gegen Extremismus”, das sich im Nachgang mehrerer Gewalttaten von Neonazis in der Kleinstadt gegründet hatte. Menschenfeindliche Einstellungen wie Rassismus und Sexismus, die weit in der Gesellschaft verbreitet sind, werden an den extremistischen „Rand“ abgeschoben und bleiben als Problem der „Mitte“ unsichtbar. Bei der Berichterstattung über neonazistische, rassistische oder andere diskriminierende Vorfälle sollten diese auch präzise als solche benannt werden, anstatt mit problematischen Sammelbezeichnungen wie „Extremismus“ die Spezifik der Probleme zu verschleiern.[5]

[1] So zu lesen zum Beipiel in einem Kommentar des LVZ-Redakteurs Thilo Boss vom 27.08.2010
[2] Weiterführende Kritik und Orientierungshilfen für einen nicht-diskriminierenden Sprachgebrauch bietet die kostenlos als PDF erhältliche Publikation „Medien und Straftaten“ des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung: http://www.diss-duisburg.de/Internetbibliothek/Buecher/diss--medien-und-straftaten--vorschlaege--1999.pdf
[2] Weiterführende Kritik und Orientierungshilfen für einen nicht-diskriminierenden Sprachgebrauch bietet die kostenlos als PDF erhältliche Publikation „Medien und Straftaten“ des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung: http://www.diss-duisburg.de/Internetbibliothek/Buecher/diss--medien-und-straftaten--vorschlaege--1999.pdf
[3] Informationen für Journalist*innen und weitere Hinweise zu nicht-diskriminierender Sprache über schwarze Menschen finden Sie auf www.derbraunemob.de
[4] www.unesco.de/fileadmin/medien/Dokumente/Bibliothek/eine_sprache.pdf
[5] Eine ausführliche Version der Empfehlungen des FKR für Journalist*innen und Öffentlichkeitsarbeit finden Sie auf www.engagiertewissenschaft.de, Eine Handreichung des Antidiskriminierungsbüros ADB finden Sie unter www.adb-sachsen.de/textbausteine.html

Zuletzt aktualisiert am 05.02.2022