02.06.2025
Die Ablehnung geschlechtlicher und sexueller Vielfalt ist in der extrem rechten Ideologie angelegt und gesamtgesellschaftlich anschlussfähig. Im Sommer 2024 mobilisierten Neonazis insbesondere gegen Paraden zum Christopher Street Day (CSD)[1] und nahmen diese zum Anlass, um ihre Queerfeindlichkeit auf die Straße zu tragen. So auch am 17. August 2024 in Leipzig.
Der Text erschien zuerst in der aktuellen Ausgabe der Leipziger Zustände. Wir veröffentlichen ihn nochmal gesondert aufgrund der zu erwartenden neonazistischen Proteste gegen Pride-Veranstaltungen in Sachsen.
Für die extreme Rechte sind die Fragen nach Geschlecht, Sexualität und Familie klar zu beantworten: Es gebe nur zwei Geschlechter, Sexualität habe nur zwischen Männern und Frauen stattzufinden und eine Familie bestehe aus Vater, Mutter und Kindern. Alle davon abweichenden Identitäten, Begehren und Lebensentwürfe werden strikt abgelehnt. In diesem Denken finden Pluralität und Ambivalenzen keinen Platz. Damit knüpft die extreme Rechte an gesellschaftliche Normvorstellungen an und spitzt diese zu. Die Auseinandersetzung rund um das Themenfeld Geschlecht, Sexualität und Familie ist für die extreme Rechte von zentraler Bedeutung. Sie ist elementarer Bestandteil eines rechten Kulturkampfes, welcher sich gegen Emanzipationsgewinne richtet, wie die Ehe für Alle oder der dritte Geschlechtseintrag im Personenstandsrecht. Dass es sich bei den Vorstellungen der extremen Rechten zu Geschlecht und Sexualität um ein Zerrbild handelt, das von der gesellschaftlichen Realität tagtäglich konterkariert wird, ignoriert diese. Vielmehr werden Mythen einer vermeintlichen Normalität beschworen, die es zu bewahren odezurückzuerlangen gelte. Welche Mobilisierungsfähigkeit das Themenfeld für die extreme Rechte jedoch besitzt, wird insbesondere rund um verschiedene CSDs im Sommer 2024 deutlich – so auch in Leipzig.
Nachdem am 10. August in Bautzen insgesamt rund 700 Neonazis den örtlichen CSD stören, wird in Neonazi-Kreisen auch für Protest gegen den CSD am 17. August in Leipzig geworben. Ein erster Aufruf zur Störung des CSD wird im Telegram-Kanal des Active Club Leipzig veröffentlicht. Die Active Clubs dienen als digitale Vernetzungsstruktur für extreme Rechte. In lokalen Gruppen sollen die Aktiven zusammenkommen und sich für den Straßenkampf wappnen. Der Erfolg und die Reichweite des Leipziger Active Clubs ist allerdings dürftig. Vielmehr scheint der Kanal dem 23-jährigen Dominik Greschow als privates Sprachrohr zu dienen. Greschow kandidierte 2024 für die neonazistische Partei Freie Sachsen bei der Kommunalwahl und tritt beim CSD als Anmelder der Gegendemonstration unter dem Motto „Stolz, deutsch, national“ auf.
Am Tag des CSD ist die Polizei mit einem Großaufgebot vor Ort und zeigt im und um den Hauptbahnhof Präsenz. Dort wird ein abgesperrter Bereich errichtet, in den alle ankommenden Neonazis geführt werden. Insgesamt finden sich schließlich knapp 400 Neonazis, darunter 160 Jugendliche und einige Kinder, eingezäunt im Hauptbahnhof wieder. Der hohe Anteil von Jugendlichen ist dabei ein besonderes Merkmal der extrem rechten Mobilisierungen rund um CSDs im Sommer 2024. Für viele Teilnehmenden scheinen die Demonstrationen einen Ort darzustellen, an dem sie Kontakte zu anderen jungen Neonazis knüpfen, im digitalen Raum konsumierte Inhalte in den öffentlichen Raum tragen und einen Erprobungsraum für ihre neonazistische Praxis suchen. Das Publikum rekrutiert sich dabei zumeist aus den umliegenden Regionen der CSD-Orte. So stammt der Großteil der Teilnehmenden der neonazistischen Demonstration in Leipzig aus der Stadt und den angrenzenden Landkreisen. Gruppen reisen zudem aus Chemnitz und der Region Berlin an. Vereinzelt tragen Neonazis Kleidungsstücke, die auf Bezüge zu weiteren Städten hindeuten, etwa ein T-Shirt mit der Aufschrift „Divison Hoyerswerda“. Die zur Schau getragene Kleidung verdeutlicht darüber hinaus den eindeutig neonazistischen Charakter des Protests. Von neonazistschen Kampfsportevents (Kampf der Nibelungen) über Parteien (Der III. Weg) und Musik-Label (Neuer Deutscher Standard) bis zu Szenecodes (Schriftzüge im Stil des rechtsterroristischen Blood & Honour-Netzwerks) – die gesamte Bandbreite des Neonazismus wird über die Bekleidung repräsentiert.
Neben den vielen jugendlichen Teilnehmer*innen beteiligen sich in Leipzig auch Neonazis, die in den vergangenen Jahren an diversen Montagsdemonstrationen in der Stadt teilnahmen. In der Person von LucienWagner, der 2024 für die Freien Sachsen für den Leipziger Stadtrat kandidierte, versuchte dieses Milieu im Stadtteil Möckern im Frühjahr 2024 kurzzeitig, eigene Neonazidemonstrationen zu etablieren. Auffällig ist zudem die Präsenz von Strukturen, die sich bis dato vorwiegend als digitale Phänomene darstellten. So wird etwa ein Banner des Störtrupp gezeigt. Es handelt sich dabei um eine Online-Vernetzung von Neonazis auf Social-Media-Plattformen, die im analogen Raum bisher jedoch kaum in Erscheinung tritt.
Über Stunden warten die Neonazis darauf, zu ihrem Demonstrationsort vor dem Hauptbahnhof zu gelangen. Im Wartebereich skandieren sie dabei wiederholt Sprechchöre wie „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ oder „Ganz Deutschland hasst den CSD“. Gegen zwölf Uhr wird die Veranstaltung vom Anmelder aufgelöst, bevor sie ihren Startpunkt überhaupt erreicht. Die Polizei leitet im Anschluss gegen alle Personen erkennungsdienstliche Maßnahmen ein, die sich über mehrere Stunden hinziehen. Insgesamt werden 80 Ordnungswidrigkeiten und 40 Straftaten festgestellt.[2] Obwohl sich der Tagesverlauf für die Neonazis desaströs gestaltet, blicken viele, insbesondere junge Teilnehmer*innen in sozialen Netzwerken positiv auf das scheinbar vergemeinschaftende Erlebnis im Leipziger Hauptbahnhof zurück. Etliche von ihnen reisen in den kommenden Wochen zu CSD-Störversuchen in weiteren Städten.
Die Konsequenzen der Queerfeindlichkeit, die im Rahmen der Neonazikundgebung geschürt wird, erleben Personen rund um den CSD ganz unmittelbar. So kommt es während der Parade und im Nachgang des CSD zu verschiedenen Anfeindungen und queer feindlichen Angriffen.
Auf dem Weg zum CSD werden zwei Personen mit einem Baby im Park angefeindet. Ein Mann beschimpft die Personen als „ekelhaft“ und „verrückt“.[Chronik-Eintrag] Während der CSD-Parade fordern Passant*innen auf Höhe des Wilhelm-Leuschner-Platzes, dass in das „Gesocks“ mit dem Wasserwerfer geschossen werden müsse.[Chronik-Eintrag] Auch auf der Prager Straße kommt es zu Anfeindungen.[Chronik-Eintrag] während es entlang der Route bei verbalen Übergriffen bleibt, werden verschiedene Personen nach dem CSD körperlich angegriffen. In einer S-Bahn auf Höhe der Haltestelle Mockau grölt eine Gruppe von Neonazis Parolen und zeigt den Hitlergruß. In der Folge richten sie ihren Fokus auf zwei weitere Personen, die eine Pride-Fahne mitführen. Sie werden beleidigt, anschließend schlagen die Neonazis einer Person ins Gesicht und bespucken diese.[Chronik-Eintrag] Ähnliche Fälle queerfeindlicher Gewalt ereignen sich am Abend im Leipziger Stadtteil Reudnitz. Eine Gruppe von drei Personen wird von sechs Jugendlichen in einer Straßenbahn zunächst verbal angegriffen, anschließend wird eine Person zu Boden geworfen und ihr wird gegen den Kopf getreten. Als die Gruppe aus der Tram flieht und sich in Richtung Lene-Voigt-Park entfernt, verfolgen die Jugendlichen sie.[Chronik-Eintrag] Eine weitere Person, die am Abend alleine auf der Riebeckstraße unterwegs ist, wird ebenfalls queerfeindlich beleidigt. Auch in diesem Fall wird die Person körperlich angegriffen, kann sich jedoch zur Wehr setzen und anschließend fliehen.[Chronik-Eintrag]
Die dokumentierten verbalen und physischen Angriffe zeigen, welche gewaltvolle Praxis aus der Queerfeindlichkeit der extremen Rechten resultiert. Umso wichtiger ist es, den öffentlichen Raum zu besetzen und Widerstand zu leisten. Die Teilnahme von mehr als 20.000 Menschen am CSD in Leipzig ist dabei ein wichtiges Zeichen. Im Alltag kommt es auf das solidarische Verhalten aller an, auch von Menschen, die nicht unmittelbar von Queerfeindlichkeit betroffen sind.
[1] Die Bezeichnung Christopher Street Day geht auf einen Aufstand von homosexuellen und queeren Personen im New Yorker Stadtteil Greenwich Village im Jahr 1969 zurück. Als sich Betroffene gegen ständige Polizeischikanen wehrten, brach in der Bar Stonewall Inn ein Aufstand aus, der in tagelangen Straßenschlachten mündete. Die Auseinandersetzungen sind ein Meilenstein in der queeren Geschichte und Emanzipation.
[2] Ausführlicher zum extrem rechten Demonstrationsversuch, siehe: chronik.LE vom 17.08.2024: Nazidemonstration gegen CSD findet nur im Polizeikessel statt, online abrufbar unter: https://chronikle.org/ereignisse/nazidemonstration-gegen-csd-findet-nur-im-polizeikessel-statt
Zuletzt aktualisiert am 02.06.2025