16.01.2009
In der Odermannstraße 8 in Leipzig-Lindenau hat am 15.11.2008 ein Stützpunkt der neonazistischen NPD eröffnet. Das stark gesicherte Grundstück dient laut Pressemitteilung des NPD-Landesvorsitzenden und Landtagsabgeordneten Winfried Petzold als dessen "Bürgerbüro" und beherbegt auch die Kreisgeschäftsstelle der NPD Leipzig. Petzold kündigte an, dass von hier aus der kommende Kommunalwahlwahlkampf organisiert werden soll und dass "Leipzig nicht den Roten überlassen werden darf". Der Landtagsabgeordnete wohnt in Mutzschen bei Grimma, hat aber bereits bei den letzten Wahlen für die NPD in Leipzig kandidiert.
Zur Eröffnungsfeier war auch der Nazibarde Frank Rennicke angekündigt. Ob der wegen Volksverhetzung verurteilte Liedermacher wirklich in die Saiten gegriffen hat, wurde von NPD-Seite bisher nicht bestätigt. Nach Augenzeugenberichten befanden sich unter den Besuchern der Veranstaltung hauptsächlich jüngere Neonazis aus dem Umfeld der "Freien Kräfte Leipzig", welche teilweise auch der NPD-Nachwuchsorganisation JN (Junge Nationaldemokraten) angehören. Aber auch einige ältere Personen sollen den Weg in das "Bürgerbüro" gefunden haben.
In der unmittelbaren Nähe des neuen NPD-Zentrums befindet sich unter anderem die Beratungsstelle für MigrantInnen "Salve" der RAA, außerdem diverse alternative Kulturprojekte, ein Wächterhaus und die Nachbarschaftsschule samt Kita.
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! Datum !! Ereignis
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|15.11.08
|NPD-"Bürgerbüro" eröffnet in Leipzig-Lindenau
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|19.11.
|Beleidigungen und Drohungen mit Schlagstock und ein Versuchter Angriff
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|21.11.
|Vermummte bedrohen Mitarbeiter von Buchkinder e.V
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|21.11.
|Drei Männer jagen junge Frau mit Schlagstöcken
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|29.11.
|Neonaziaufmarsch an NPD-Zentrum in Lindenau
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|2.12.
|NPD-Landesvorsitzender Winfried Petzold verteilt "Bürgerbrief" in Lindenau
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|4.12.
|Protestaktion vor NPD-Zentrum: Polizei übernimmt ungeprüft NPD-Angaben
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|18.12.
|Mehrfacher Übergriff auf Jugendliche
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|18.12.
|Neonazis versuchen öffentliche Probe einer Sambaband am Lindenauer Markt zu stören
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|20.12.
|nächtlicher Angriff auf FahrradfahrerInnen
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|21.12.08
|Besucher des NPD-Zentrums greifen Polizei an
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|16.01.09
|NPD verteilt "Leipziger Stimme"
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|19.01.
|NPD-"Suppe für Bedürftige" am Lindenauer Markt
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|18.07.
|Konzert des Neonazi-Liedermachers Frank Rennicke
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Artikel aus der chronik.LE-Broschüre Leipziger Zustände, Mai 2009
[img_assist|nid=1019|title=|desc=NPD-Zentrum in Lindenau|link=none|align=center|width=400|height=269]
Am 15. November 2008 eröffnete die NPD in der Odermannstraße 8 in Leipzig-Lindenau ein Büro. Das unter anderem durch eine zwei Meter hohe Metallwand gesicherte Gelände solle, so Winfried Petzold, NPD-Landesvorsitzender und Landtagsabgeordneter, in einer Pressemitteilung, als „Bürgerbüro“ dienen und beherberge auch die Kreisgeschäftsstelle der NPD Leipzig. Petzold begründete die Eröffnung des NPD-Zentrums damit, dass „Leipzig nicht den Roten überlassen werden darf.“ [1]
Das war der bisherige Höhepunkt in einer Reihe von Versuchen des Leipziger Kreisverbandes der NPD, in die Öffentlichkeit zu treten. Seit dem spektakulär angekündigten, dann aber abgesagten Aufmarsch anlässlich der Eskalation des so genannten Leipziger „Disko-Krieges“ im März 2008 [2], der erstmalig für Leipzig sowohl von der NPD als auch von den Freien Kräften Leipzig (FKL) organisiert worden war, sind die beiderseitigen Beziehungen stetig ausgebaut worden.
Nachdem auf der Leipziger Seite des „Freien Netzes“ für den 20. April 2008 die Gründung eines Stützpunktes der Jungen Nationaldemokraten (JN) vermeldet wurde, haben sich viele der bekannten Neonazis der „Freien Kräfte“ hinter dem JN-Stützpunktleiter Tommy Naumann versammelt. Dafür spricht auch, dass die Internetseite der FKL seither immer öfter Aktionen der JN-Leipzig dokumentiert, wobei sich der pathetisch-schwülstige Schreibstil erhalten hat.
Weil es starke Überschneidungen zwischen den „Freien Kräften Leipzig“ und dem rechten Fußball-Hooliganmilieu gibt, kann von einem Zusammenrücken großer Teile der Leipziger Neonazi-Szene gesprochen werden. Bereits in der Vergangenheit übernahmen Mitglieder der Lok Leipzig Hooligangruppierung „Blue Caps“ Ordneraufgaben bei NPD- Veranstaltungen, inzwischen geben diese die Odermannstraße 8 sogar als ihre offizielle Anschrift an [3]. Mit dem „Bürgerbüro“ in Lindenau steht der rechten Szene in Leipzig ein vielfach genutzter Veranstaltungsort zur Verfügung. Seit der Eröffnung fanden dort unter anderem Vorträge des Kreisverbandes der NPD, Schulungen von JN/FKL sowie Feiern der Fußball-Hooligans unter einem Dach statt [4].
Für die Lindenauer*innen hat sich damit über Nacht eine ernstzunehmende Bedrohungssituation ergeben.
Einerseits gingen von den Nazis aus der Odermannstraße 8 teils gewalttätige Aktionen gegen Anwohner*innen und Protestierenden aus, andererseits adressierte Winfried Petzold in sogenannten Bürgerbriefen wiederholt die „Bürger Lindenaus“. Es kann demnach von einer Doppelstrategie gesprochen werden, die sich aus der gemischten Zusammensetzung der im NPD-Büro ansässigen Nazis erklärt.
Die Strategie des Landtagsabgeordneten Petzold besteht darin, durch die Eröffnung des Büros und die dadurch ausgelösten Proteste mediale Aufmerksamkeit auf sich und die NPD in Leipzig zu ziehen. Dabei versucht er, durch bürgernahe Aktionen [5] und „Bürgerbriefe“ ein freundliches Bild seines Büros zu zeichnen.
Die NPD hat sich für die Landtags- und Stadtratswahlen 2009 viel vorgenommen und ist auf die tatkräftige Unterstützung aus der jungen Leipziger Nationalsozialisten-Szene angewiesen.
Deshalb war das Gelände in der Odermannstraße wohl auch ein Geschenk an die JN/FKL und Lok- Hooligans, um sich deren Loyalität für den Wahlkampf zu sichern. Die Bedeutung eines sowohl gegen juristische als auch physische Angriffe gesicherten Veranstaltungsgeländes für die regionale Nazi-Szene ist sehr hoch einzuschätzen: In der Vergangenheit war es für Neonazis immer wieder schwierig, Räumlichkeiten für ihre Veranstaltungen in Leipzig anzumieten.
Von Beginn an fanden viele Veranstaltungen in der Odermannstraße statt. Das „Büro“ war ständig von jungen Männern besetzt, von denen wiederholt Übergriffe ausgingen. Auch außerhalb des Zentrums präsentierten sich die Nazis aggressiv und griffen gezielt Menschen an, die sie als im weitesten Sinne liberal oder links einstufen: Student*innen, alternativ-aussehende Personen, nichtrechte Jugendliche. Das Ziel dieser Aktionen war die gewaltsame Unterbindung individuellen Protestes [6] sowie die Zurückdrängung nichtrechter Lebensräume im Stadtteil. Gerade die zielgerichtete Einschüchterung, wie im Fall des Übergriffs auf einen Mitarbeiter des Vereins „Buchkinder“ am 21. November 2008 [7], verdeutlicht das Kalkül der Gewaltanwendung beziehungsweise deren Androhung. Eine Strategie, die weithin mit dem Konzept der „national befreiten Zone“ identifiziert wird. Selbst die Polizei wirkte hilflos, als sie Betroffenen davon abriet, nach Übergriffen Anzeige zu erstatten, um sich nicht zu gefährden.[8]
Bei ihren Bemühungen, die nähere Umgebung des NPD-Zentrums unter ihre Kontrolle zu bringen, stießen die Nazis allerdings häufig auf Widerstand aus der Bevölkerung. Gerade in der Umgebung der Odermannstraße gibt es neben dem „Theater der Jungen Welt“ auch eine Vielzahl von Vereinen und Initiativen mit zum Teil direkter antirassistischer beziehungsweise antifaschistischer Ausrichtung. Dazu kommen nicht wenige studentisch geprägte WG-Häuser. Was Petzold als „hilflose Proteste krimineller antifaschistischer Gewalttäter aus der Connewitzer und Plagwitzer Szenegosse“ bezeichnete, ist vor allem der Widerstand derjenigen Menschen aus Lindenau und Plagwitz, die in der Existenz eines Nazi-Clubs in ihrer Nachbarschaft eine nicht ertragbare Einschränkung ihrer Lebensqualität sehen.
Trotzdem ließen sich viele Anwohner*innen und Protestierende nicht einschüchtern, und verzierten den Eisenzaun des Zentrums mit Graffitis oder warfen ihren Biomüll auf das Gelände. Obwohl der Protest gegen das NPD-Zentrum vor allem von zivilgesellschaftlichen Initiativen getragen wurde, war Winfried Petzold in seinen veröffentlichten Bürgerbriefen darum bemüht, sich und die Klientel seines Büros als Opfer „linksextremistischer“ Gewaltexzesse darzustellen. Teilweise konnte er dabei erfolgreich an Vorurteile von Polizei und Medien anknüpfen. Als die Leipziger Polizei im Zusammenhang mit einer friedlichen Protest-Choraufführung [9] am 5. Dezember 2008 von Steinwürfen und Böllern, die auf das NPD Gelände geworfen wurden, berichtete [10], stützte sie sich allein auf die Aussagen von Personen, die sich zu dem Zeitpunkt auf dem Gelände des NPD- Büros aufgehalten hatten. Dass augenscheinlich linke oder alternativ-aussehende Menschen nur zum Zwecke des „extremistischen Randalierens“ vor Ort gewesen sein konnten, war den „Antiextremisten“ von der LVZ auch ohne Überprüfung der Fakten sofort klar. Deswegen übernahm sie die Polizeimeldung unkritisch und half somit, die NPD-Propaganda zu verbreiten.
Während die Einschüchterungen und Drohungen gegenüber Anwohner*innen und Protestierenden Teil einer aggressiven Strategie im Stadtteil waren, kam es auch immer wieder zu spontanen Gewaltausbrüchen von Seiten der Nazis. Deren vorläufigen Höhepunkt markierte der Angriff auf Passant*innen und Polizist*innen am 21. Dezember 2008 [11], der sich am Rande einer Geburtstagsfeier von rechten Anhängern des 1. FC Lokomotive Leipzig ereignete. Nachdem die Bereitschaftspolizei an diesem Abend erstmals das Gelände betreten hatte und insgesamt vier Ermittlungsverfahren wegen gefährlicher Körperverletzung, Beleidigung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte sowie Sachbeschädigung eingeleitet wurden, äußerte sich der Vorsitzende des NPD-Verbandes Leipzig, Helmut Herrmann, zu den Ausschreitungen: Er sah die NPD zwar als Opfer medialer Stimmungsmache, weil versucht werde „einen bedauerlichen Zwischenfall maßlos aufzubauschen“, gleichzeitig aber distanziere er sich von „den Tätern, die aus der Anhängerschaft des Fußballvereins Lok Leipzig sowie möglicherweise auch von auswärts kommen und mit der Leipziger NPD nichts zu tun haben.“ Außerdem wandte sic Herrmann an die „Verantwortliche[n] des Objekts in der Odermannstraße 8“. Sie sollten, so Herrmann, „künftig dafür Sorge tragen, daß es nicht mehr zu derartigen Vorfällen kommen kann.“ Darin äußerte sich auch die Skepsis alteingesessener, eher (klein-)bürgerlicher Kreise in der NPD gegenüber den oft als Chaoten wahrgenommenen jungen Nazis. Der Leipziger Kreisverband, schon seit längerem der landesweit größte, ist in der Vergangenheit kaum mit eindeutigen Aktionen in Erscheinung getreten und war eher um ein bürgerliches Image bemüht. Die Beziehungen zur freien Nationalistenszene bestehen erst seit relativ kurzer Zeit und sind auch innerhalb der Bundes-NPD ein Streitthema. Dass den JN/FKL durch den Landtagsabgeordneten Petzold im NPD-Büro relativ freie Hand gelassen wird, dürfte vielen Leipziger Parteifreunden Bauchschmerzen bereiten. Die Äußerungen Herrmanns standen auch in bemerkenswertem Widerspruch zu den bereits beschriebenen engen Beziehungen zwischen der NPD und bestimmten Anhängern von Lok Leipzig.
Die Vorgänge um die Odermannstraße 8, deren Besucher und Betreiber die „bunte Vielfalt“ der nationalsozialistisch geprägten Strömungen widerspiegeln, bieten Einblicke in Organisations- und Propagandastrategien der NPD. Dabei wird eines deutlich: Gewalt ist der zentrale Topos für die nationalsozialistische Partei. Sie inszeniert sich als Opfer linker „extremer“ Gewaltexzesse und macht ihrerseits Menschen zu Gewaltobjekten, indem sie sie ins Zentrum autoritärer Ordnungs-, Ausschluss- und Repressionsdiskurse rückt [12]. Die NPD verstärkt dadurch Milieus, in denen die vorgestellte kriegerische Gesellschaft teilweise realisiert wird – oft in Form von Bandenökonomie (gewalttätige politische Nazis, Hooligans, Freefighter und Türsteher). Diese Milieus wiederum werden über Postenvergabe, Geldzahlungen und eben auch die Bereitstellung von Räumlichkeiten, wie der Odermannstraße, an die NPD gebunden. Mit der Unterstützung dieser Personengruppen kann die Partei in zunehmendem Maße Gewalt einsetzen, um ihre Ziele zu erreichen: so auch in Lindenau zur Durchsetzung des Nazi-Zentrums. Aus der Gewalt – als gemeinsamen Nenner – ergeben sich aber dann Probleme, wenn sie (für die NPD) unkontrollierbar ausbricht und der Partei schadet, wie im Fall der Hooligan-Ausschreitungen gegen die Polizei. Die neuerlichen Bestrebungen, mit der JN auf Bundesebene eine Kaderorganisation und Schutztruppe im Stile der SA aufzubauen, dürften das Ziel verfolgen, die Gewaltpotentiale weiter strenger zu organisieren und damit besser kontrollierbar zu machen. In Leipzig zumindest scheint die Strategie aufzugehen: Die Leipziger parteiunabhängigen Nazis zeigen sich bisher mehr als offen für die Zusammenarbeit mit der NPD und werden auch für den Wahlkampf zur Verfügung stehen. Einige prominente Vertreter der JN/FKL wie Tommy Naumann und Isztvan Repaczki finden sich denn auch unter den Stadtratskandidaten der NPD.
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[1] NPD-Pressemitteilung vom 17. November 2008
[2] Vgl. www.endstation-rechts.de/index.php?option=com_content&view=article&id=1268:sachsen-npd-sagt-demo-ab-zoff-zwischen-partei-und-bewegung&catid=108:landesverband-sachsen&Itemid=240
[3] Vgl. www.blue-caps-le.com/?page_id=104, zuletzt besucht 22.04.2009
[4] Vgl. www.chronikle.org/ereignis/npd-abgeordnetenbuero-eroeffnet-leipzig, www.chronikle.org/ereignis/npd-zentrum-ausgangspunkt-neonaziaufmarsches-lindenauer-markt, sowie www.chronikle.org/ereignis/krawalle-angriff-polizei-party-npd-zentrum
[5] Vgl. www.chronikle.org/ereignis/npd-suppe-beduerftige-lindenauer-markt
[6] Vgl. www.chronikle.org/ereignis/drei-bewaffnete-maenner-jagen-anwohnerin-protest-gegen-npd-buero-lindenau, www.chronikle.org/ereignis/npd-zentrum-blue-caps-anhaenger-bedrohen-sambaband, www.chronikle.org/ ereignis/mehrfacher-uebergriff-jugendliche-lindenauer-markt
[7] Vgl. www.chronikle.org/ereignis/ vermummte-bedrohen-buchkinder-mitarbeiter-wegen-npd-buero
[8] Vgl. www.chronikle.org/ereignis/drei-bewaffnete-maenner-jagen-anwohnerin-protest-gegen-npd-buero-lindenau
[9] Vgl. www.chronikle.org/ereignis/polizei-medien-verbreiten-falschmeldung-friedliche-protestaktion-npd-zentrum
[10] Vgl. www.polizei.sachsen.de/pd_leipzig/4304.htm
[11] Vgl. www.chronikle.org/ereignis/krawalle-angriff-polizei-party-npd-zentrum
[12] Die eigenen Vernichtungsphantasien werden durch eine imaginierte, vermeintlich existentielle Bedrohung durch die zu Vernichtenden gerechtfertigt. Das zeigt sich plastisch anhand gern von Nazis verwendeter Parolen wie „Wer das Schwert zieht, wird durch das Schwert umkommen!“, „Wer Wind sät, wird Sturm ernten“, „Nie wieder Krieg, nach unserm Sieg“.
Zuletzt aktualisiert am 05.10.2009