19.06.2017
Am Freitag, den 09. Juni 2017, versammelten sich etwa 60 aggressive und teilweise betrunkene Neonazis und Rassisten auf dem Wurzener Markt, um Stimmung gegen Geflüchtete in der Stadt zu machen. Laut Polizei riefen sie dabei Parolen wie „Ausländer raus“ und „Deutschland den Deutschen“ und zeigten verfassungsfeindliche Symbole. Die anwesende Polizei musste die Personengruppe mit körperlicher Präsenz davon abhalten, ein Haus in der Wencelaigasse anzugreifen, in dem mehrere Geflüchtete aus verschiedenen Ländern wohnen.
Anlass für die Zusammenrottung waren angeblich zu laute Musik und eine darauf folgende körperliche Auseinandersetzung zwischen Geflüchteten und Deutschen am Pfingstmontag. In der Berichterstattung zu diesem Vorfall gaben die Polizei und später auch die Presse lediglich die Perspektive der deutschen Beteiligten wieder. Die Perspektive der Geflüchteten fehlt bisher. Die LVZ wählte für die Meldung in ihrer Lokalausgabe gar die pauschalisierende Überschrift: „Afrikaner in Wurzen festgenommen“ (LVZ vom 07.06.2017). Damit werden alle in Wurzen lebenden Menschen aus unterschiedlichen afrikanischen Ländern als Unruhestifter dargestellt.
Dazu Steven Hummel vom Dokumentationsprojekt chronik.LE: „Bei der Auseinandersetzung zu Pfingsten gehören auch die Geflüchteten und ihre Perspektive angehört. Die Verbreitung dieser einseitigen Darstellung, dass Geflüchtete in Wurzen Unruhestifter seien, hat mit dazu geführt , dass sich 60 aggressiv auftretende Neonazis und Rassisten wenige Tage später versammelt haben und gewaltsam versucht haben, zu dem Haus vorzudringen, in welchem die Geflüchteten wohnen.“
Hummel weiter: „Rassistische Zusammenrottungen und Gewalt gegen Geflüchtete in ihrem Wohnumfeld sind in Wurzen leider keine Seltenheit.“ Angriffe auf Wohnungen gab es bereits im im September 2016 sowie Januar 2017.
Eine ähnliche Dynamik rassistischer Mobilisierung gab es vor knapp einem Jahr, als im August 2016 eine Auseinandersetzung vor einer Pizzeria dazu führte, dass ca. 350-400 Personen in Wurzen gegen Asylsuchende demonstrierten. „Wir haben als Dokumentationsplattform chronik.LE in den letzten anderthalb Jahren in Wurzen 16 Ereignisse dokumentiert. Die meisten davon haben einen rassistischen Hintergrund. Im Gegensatz zu Oberbürgermeister Jörg Röglin sind wir deshalb der Auffassung, dass Wurzen ein Problem mit Rassismus und Neonazismus hat.“ Der Oberbürgermeister von Wurzen hatte gegenüber dem MDR die Wahrnehmung der Opferberatung der RAA Sachsen zurückgewiesen, die von alltäglichen rassistischen Anfeindungen und Angriffen auf Geflüchtete berichtet hatte. Selbst der Sprecher der Polizeidirektion Leipzig, Uwe Voigt, bezeichnet Wurzen in diesem Beitrag als einen „Brennpunkt in Sachen Ausländerfeindlichkeit“ (MDR vom 14.06.2017).
„Glücklicherweise gibt es in Wurzen allerdings auch viele Menschen, welche sich in ihrer alltäglichen Arbeit für Geflüchtete und ein humanistisches Miteinander in Wurzen einsetzen. Diesen Menschen und den Betroffenen Geflüchteten wünschen wir weiterhin alles Gute“, so Hummel abschließend.
chronik.LE ist eine Dokumentationsplattform, welche neonazistische Aktivitäten und diskriminierende Ereignisse in der Stadt Leipzig sowie den Landkreisen Leipzig und Nordsachsen auf der Website www.chronikle.org dokumentiert. Im Jahr 2016 sowie 2017 wird der Trägerverein durch die Lokale Partnerschaft für Demokratie im Landkreis Leipzig gefördert.
Für Rückfragen: chronik.le@engagiertewissenschaft.de
06. Mai 2017: Unbekannte entfernen und zerstören damit erneut die Gedenktafel für die Opfer der Todesmärsche von 1945 am Stadtbad in Wurzen.
https://www.chronikle.org/ereignis/gedenktafel-opfer-ns-todesm%C3%A4rsche-wurzen-zerst%C3%B6rt
15. Januar 2017: Mehrere Unbekannte Täter schlagen gegen Fenster und die Tür einer Wohnung in welcher Geflüchtete wohnen. Mit einem Verkehrsschild zerstören sie Scheiben der Wohnung und werfen im Anschluss einen Feuerwerkskörper auf das Bett eines Geflüchteten. Zwar gerät durch den Böller ein Kopfkissen in Brand, aber niemand wird verletzt.
https://www.chronikle.org/ereignis/wurzen-angriff-wohnung-gefl%C3%BCchteten
14. Januar 2017: Zwei Personen treten und schlagen gegen Fenster und die Tür einer Wohnung in welcher Geflüchtete untergebracht sind. Dabei rufen sie u.a. "Warum seid ihr hier, wir haben keinen Platz für euch". In der darauf folgenden Nacht ist die Wohnung erneut Ziel eines Angriffs. https://www.chronikle.org/ereignis/wurzen-gefl%C3%BCchtete-wohnung-bedroht
30. September 2016: Die Scheiben einer Wohnung in welcher Geflüchtete untergebracht sind werden eingeworfen. https://www.chronikle.org/ereignis/scheiben-gefl%C3%BCchteten-wohnung-wurzen-eingeworfen
29. August 2016: Nach einer Auseinandersetzung in einer Pizzeria wenige Tage zuvor treffen sich ca. 350-400 Personen auf dem Bürgermeister-Schmidt-Platz um gegen Asylsuchende zu protestieren. Darunter befinden sich laut LVZ 50-70 Personen "aus dem rechten Spektrum". https://www.chronikle.org/ereignis/rassistische-demonstration-wurzen-0
27. August 2016: Mehrere Fensterscheiben des Kultur- und Bürger*innenzentrums D5 werden durch Unbekannte zerstört. Der Sachschaden beläuft sich auf ca. 600 Euro. https://www.chronikle.org/ereignis/scheiben-d5-eingeworfen
26. August 2016: Mehrere Gäste einer Pizzeria greifen einen Asylsuchenden aus Marokko an. In der Öffentlichkeit wird der Vorfall zu einem „Überfall durch Asylbewerber“ aufgebauscht, ohne jedoch genauere Hintergründe zu kennen. In sozialen Medien, wie Facebook, häufen sich gewalttätige Äußerungen und rassistische Anfeindungen. https://www.chronikle.org/ereignis/rassistischer-angriff-wurzen
25. Juli 2016: Die Jugendorganisation der NPD, die Jungen Nationaldemokraten (JN), hängen Banner am Zaun gegenüber der Polizeiaußenstelle in Wurzen auf. Die beiden Transparente tragen die Aufschrift "Offene Grenze töten!" sowie "Schützt das Volk! Nicht die Regierung!". https://www.chronikle.org/ereignis/transparentaktion-jn-wurzen
23. Juli 2016: In einem Wurzener Supermarkt fordert eine Kundin mit Blick auf eine andere Kundin mit Kopftuch, welche gerade den Laden betreten hat, dazu auf eine Bombe einzusetzen, denn "da triffste immer die richtigen". Die Kassiererin stimmte dem mit einem Kopfnicken zu. https://www.chronikle.org/ereignis/rassistische-hetze-wurzener-supermarkt
21. Juli 2016: Unbekannte werfen Steine auf einen Geflüchteten. https://www.chronikle.org/ereignis/rassistisch-motivierter-angriff-gefl%C3%BCchteten
03. Juli 2016: Unbekannte zerstören die Fensterscheiben eines Wohnhauses, in dem mehrere geflüchtete Familien wohnen. Zusätzlich äußerten sie rassistische Beleidigungen. https://www.chronikle.org/ereignis/sachbesch%C3%A4digung-wohnung-gefl%C3%BCchteten
02. Juli 2016: Ein Geflüchteter wird aus einem vorbeifahrenden Auto mit Gesten und Worten rassistisch beleidigt. https://www.chronikle.org/ereignis/rassistische-beleidigung-gegen-gefl%C3%BCchteten-wurzen
03. Mai 2016: Ein Asylsuchender wird an einer Haltestelle erst rassistisch beleidigt und anschließend gewürgt und getreten. https://www.chronikle.org/ereignis/rassistischer-angriff-haltestelle-wurzen
01. Mai 2016: Nach einer Demonstration in Grimma nehmen rund 100 Personen in Wurzen an einer Demonstration der JN teil. https://www.chronikle.org/ereignis/npd-demonstriert-wurzen
26. Februar 2016: Etwa 100 Personen demonstrieren durch die Wurzener Innenstadt. Dazu aufgerufen wurde auf der Facebookseite "Wurzen wehrt sich gegen Asylmissbrauch", welche kontinuierlich gegen Asylsuchende hetzte. https://www.chronikle.org/ereignis/rechte-demonstration-100-teilnehmenden-wurzen
29. Januar 2016: In einem Online-Kommentar bezeichnet ein Wurzener Asylsuchende als "Viehzeug" und "Viecher", welche "schön kostenlos Taxi fahren können" und "unsere Frauen vergewaltigen" würden. Für diese Äußerungen verurteilte ihn das Amtsgericht Grimma zu einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen. https://www.chronikle.org/ereignis/wurzener-hetzt-facebook-gegen-asylsuchende
Zuletzt aktualisiert am 27.01.2022