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Schießtraining für Neonazis im Schützenhof?

09.10.2011

Leipziger NPD-Chef Herrmann und Landtagsabgeordnter Petzold sollen sich Schusswaffen zugelegt haben / Unterstützung durch Reservistenverband der Bundeswehr

Leipzig, den 7.10.2011: Führende NPD-Mitglieder aus Leipzig und Umgebung haben sich offenbar illegal Waffenbesitzkarten und Schusswaffen beschafft und damit seit 2009 in Leipzig Schießübungen durchgeführt. Das berichtet der antifaschistische Newsflyer „Gamma“ heute mit Berufung auf interne NPD-Dokumente, die aus dem Hack eines Mailservers der NPD stammt. Die E-Mails zahlreicher Kreis- und Landesverbände sowie Unterorganisationen und Funktionären der NPD wurden daraufhin zahlreichen Medien zugespielt.

Darunter befindet sich auch eine E-Mail des Borsdorfers Gerd Fritzsche, der seit 2008 für die NPD im Kreistag des Landkreises Leipzig sitzt, der Partei aber selbst nicht angehört. Laut dem Schreiben vom 8. Juli 2011 hat Fritzsche in den Jahren 2009 und 2010 mit dem Leipziger NPD-Kreisvorsitzenden und Landesvize Helmut Herrmann sowie dem Mutzschener NPD-Landtagsabgeordnten Winfried Petzold, bis Oktober 2009 auch Landesvorsitzender der Partei, mehrfach „gemeinsame Schießübungen im Reservistenverband der Bundeswehr in Leipzig“ durchgeführt. Als Ort für das „gemeinsamen Kurz- oder Langwaffenschiessen“ wird der Schützenhof Leipzig in der Hans-Driesch-Straße genannt, der von der Leipziger Schützengesellschaft e.V. betrieben wird. Zudem rühmt sich Fritzsche dafür, dass Herrmann, Petzold und dessen Frau durch seine Hilfe „auch Waffenbesitzkarten und entsprechende Waffen (Pistolen und Gewehre) durch den Reservistenverband der Bundeswehr in Leipzig erhalten“ haben.

Die „Gamma“-Autor*innen schätzen das Schreiben als authentisch ein und weisen daraufhin, dass Gerd Fritzsche innerhalb der sächsischen NPD als Querulant und Widersacher des Landesvorsitzenden Holger Apfel gilt. Dieser hatte Fritzsche vor dem jüngsten Landesparteitag am 9. Juli explizit ausgeladen. Offenbar als Reaktion darauf hat der parteilose Kreisrat die an mehrere Parteigliederungen und Funktionäre gerichtete E-Mail verfasst, in der er seinen ehemaligen „Kameraden“ Herrmann und Petzold vorwirft, mittlerweile auf der Seite von Apfel zu stehen.

Laut „Gamma“ ist noch unklar, wie Fritzsche ihnen zu den Waffenbesitzkarten verholfen hat. Für deren Vergabe gibt es strenge Kriterien, ausgestellt werden dürfen sie in Sachsen ausschließlich von Kreis- und Stadtverwaltungen, nicht vom Reservistenverband. Dieser wird zwar vom Bundesverteidigungsministerium großzügig mit Fördermitteln versorgt, ist aber als privater Verein organisiert. In Leipzig gibt es drei sogenannte „Reservistenkameradschaften“, die Kreisgeschäftsstelle ist in der General-Olbricht-Kaserne untergebracht. Ob der 59-jährige Fritzsche dem Reservistenverband selbst angehört, ist unklar. Als ehemaliges Mitglied der Burschenschaft „Germania“ dürfte er aber genügend Kontakte zu Bundeswehrangehörigen und Reservisten haben.

Stadtbekannte Neonazis

Winfried Petzold (Jg. 1943) und Helmut Herrmann (Jg. 1934) sind als langjährige NPD-Aktivisten, als Landes- bzw. Kreisvorsitzender sowie durch ihre Kandidatur bei der jüngsten Stadtratswahl eigentlich keine Unbekannten in Leipzig. Petzold betreibt hier zudem seit Ende 2008 als Landtagsabgeordneter ein „Bürgerbüro“ in der Odermannstraße („Nationales Zentrum“). Zeitweise war er in diesem Objekt auch gemeldet, wahrscheinlich um für den Stadtrat kandidieren zu können. Gemeinsam wurden Petzold, Herrmann und drei weitere Neonazis am 20. Mai 2009 während des Wahlkampfes von der Polizei dabei ertappt, wie sie Plakate anderer Parteien abrissen. Hermann wurde zudem im Mai 2010 rechtskräftig wegen Verwendens von NS-Symbolen verurteilt. Grund war ein drei Jahre zuvor auf der Website der Leipziger NPD veröffentlichter Nachruf auf ein verstorbenes NPD-Mitglied. In dem Text wurde dessen Zugehörigkeit zur Waffen-SS mit der verbotenen SS-Losung "Meine Ehre heißt Treue" gerühmt.

„Wenn diese stadtbekannten Neonazis tatsächlich im Schützenhof unbehelligt Schießübungen abhalten konnten, dann ist das ein Skandal“, kritisiert Jens Frohburg von chronik.LE. Das Projekt zur Dokumentation faschistischer, rassistischer und diskriminierender Ereignisse in und um Leipzig fordert die zuständigen Behörden und die Verantwortlichen beim Reservistenverband sowie der Schützengesellschaft auf, zu den Angaben von "Gamma" Stellung zu nehmen. „Es kann nicht sein, dass sich hochrangige NPD-Kader mit Hilfe des Reservistenverbandes und der Leipziger Schützengesellschaft mit Schusswaffen ausrüsten und für den von ihnen herbeigesehnten ‚Umsturz‘ vorbereiten.“

Weitere Informationen:
http://www.chronikle.org/thema/gerd-fritzsche
http://www.chronikle.org/thema/helmut-herrmann
http://www.chronikle.org/ereignis/fraktionschef-apfel-loest-mdl-petzold-leipzig-saechsischen-npd-chef
http://www.chronikle.org/ereignis/stadtratskandidaten-npd-zerstoeren-linke-spd-plakate
http://www.chronikle.org/ereignis/leipziger-npd-vorsitzender-hermann-wegen-ss-losung-verurteilt

Zuletzt aktualisiert am 26.01.2022