02.06.2025
vom Netzwerk für Demokratische Kultur und der Regionalen Netzwerkstelle für Demokratie im Landkreis Leipzig
Jedes Jahr im Sommer finden auf der ganzen Welt Christopher Street Days (CSD) statt. Dann gehen Bilder von großen Paraden, Menschen in ausgelassener Stimmung, glitzernden Outfits und vor allem Bekenntnissen zu geschlechtlicher und sexueller Vielfalt um die Welt. Am 15. Mai 2024 wurde auch in Wurzen im Landkreis Leipzig ein CSD gefeiert. Insbesondere im ländlichen Raum in Sachsen sehen sich CSD-Veranstaltungen dabei mit Herausforderungen und extrem rechten Störversuchen konfrontiert.
Der Text erschien zuerst in der aktuellen Ausgabe der Leipziger Zustände. Wir veröffentlichen ihn nochmal gesondert aufgrund der zu erwartenden neonazistischen Proteste gegen Pride-Veranstaltungen in Sachsen.
Eine vorsichtige Nachfrage steht im Raum des Organisationsteams des CSD Wurzen. „Und wenn niemand kommt?“ Es soll der erste CSD in Wurzen werden. In den Jahren zuvor wurde in der Stadt wiederholt ein IDAHOBIT*[1] in Form einer Kundgebung organisiert. Dieses Jahr ist eine Demonstration durch die Stadt geplant. So sollen mehr Leute auf die Themen der Veranstaltung aufmerksam gemacht werden. Das Motto „Angstfrei & Sichtbar“ stellt eine Minimalforderung in den Vordergrund. Es zeigt zugleich, wie grundlegend die Bedrohungslage vor Ort ist.
So wurden bereits die stationären Kundgebungen zum IDAHOBIT* von extrem rechten Störungen begleitet. 2022 veranstalteten Neonazis eine eigene Kundgebung unweit des IDAHOBIT*. Organisiert wurde diese von örtlichen Kadern der Jungen Nationalisten (JN), allerdings nahm nur ein Dutzend Personen teil. Die Regenbogenfahne, die anlässlich des Tages vor dem Wurzener Stadthaus gehisst wurde, rissen Unbekannte noch in derselben Nacht ab und verbrannten sie. Fotos davon verbreitete eine Instagram-Seite des Leipziger Ablegers der JN.[Chronik-Eintrag und Chronik-Eintrag] Im Jahr zuvor wurde die Regenbogenfahne ebenfalls gestohlen – keine Woche wehte sie am Fahnenmast vor dem Wurzener Rathaus.[Chronik-Eintrag] Die Vorfälle verdeutlichen, dass queeres Leben gerade dann angefeindet wird, wenn es offen in der Stadtgesellschaft in Erscheinung tritt. Angstfrei und sichtbar aufzutreten, ist gegenwärtig also mehr Zielstellung als Realitätsbeschreibung. Auch abseits verbaler und physischer Angriffe sind queere Menschen im ländlichen Raum mit Schwierigkeiten konfrontiert. Während sich über die letzten Jahrzehnte in Leipzig eine queere Szene mit Räumlichkeiten, Vernetzungsmöglichkeiten und regelmäßig stattfindenden Veranstaltungen etablieren konnte, fehlen diese Strukturen im ländlichen Raum nahezu gänzlich. Viele queere Menschen in Wurzen und Umgebung berichten davon, sich allein zu fühlen. Häufig scheinen sie im eigenen Umkreis eine der wenigen queeren Personen zu sein. Zudem gehören Diskriminierungen seitens der Mehrheitsgesellschaft für viele Personen zum Alltag.
Die Angst des Organisationsteams des CSD Wurzen allein zu bleiben, bestätigt sich nicht. Mehr als 200 Menschen kommen zum CSD, viele reisen aus Leipzig und Dresden an, aber auch etliche Menschen aus Wurzen und Umgebung nehmen teil. Ein Anlass zur Freude, der durch die Präsenz und Störversuche von extrem rechten Jugendlichen und Neonazis jedoch geschmälert wird. Bereits am Bahnhof treten diese in Erscheinung, pöbeln herum, Zeug*innen beobachten, dass der verbotene Hitlergruß gezeigt wird. Im weiteren Verlauf postieren sich die Neonazis – darunter Kader der örtlichen Jungen Nationalisten – an der Demonstrationsroute und beleidigen Teilnehmende sexistisch und queerfeindlich. Als der CSD auf dem Wurzener Markt Halt macht, sammeln sich am Rand etwa 30 bis 40 Personen des extrem rechten Gegenprotests und versuchen, die Teilnehmenden des CSD mit ihrer Präsenz einzuschüchtern.
Drei Monate nach dem CSD in Wurzen wird der CSD in Bautzen durch rund 700 Rechtsextreme gestört. Es folgt ein großer extrem rechter Protest mit hunderten Teilnehmenden anlässlich von CSD-Veranstaltungen in Leipzig und in Magdeburg. Die Störversuche beim CSD in Wurzen und die massiven extrem rechten Mobilisierungen in weiteren Städten verdeutlichen, dass Queerfeindlichkeit zu einem Schlüsselthema der extremen Rechten avanciert ist, welches insbesondere bei jungen Menschen ein hohes Mobilisierungspotenzial besitzt. Die extreme Rechte propagiert dabei ein vermeintliches Normalbild einer heterosexuellen Familie und binäre Geschlechterbilder. Abweichungen von diesem Ideal werden verurteilt und die deutlich diversere alltägliche Realität als Produkt einer verweichlichten, „abnormen“ Gegenwartsgesellschaft verdammt. Artikuliert wird dieses Versatzstück extrem rechter Ideologie in hohem Maße im digitalen Raum und in sozialen Netzwerken, wo es häufig junge Nutzer*innen erreicht. Insbesondere bei den CSD-Veranstaltungen 2024 war auffällig, dass viele der Teilnehmenden des extrem rechten Gegenprotests Jugendliche und Kinder waren. Die Störversuche waren dabei von neonazistischen Parolen und Gebaren begleitet und beschränkten sich nicht auf verbale Angriffe. So kam es in Leipzig zu körperlichen Angriffen auf Besucher*innen während der An- und Abreise. In Wurzen wurde im Nachgang des CSD versucht, Teilnehmenden eine regenbogenfarbene Pride-Fahne zu entreißen.[Chronik-Eintrag]
Solche Bedrohungen stellen ein Problem in der Organisation von CSD-Veranstaltungen im ländlichen Raum dar. Den dort lebenden queeren Menschen soll dabei eigentlich eine Möglichkeit gegeben werden, im Schutze eines Umzugs als queere Personen in ihrer Stadt in Erscheinung treten zu können. Außerdem wird die Erfahrung vermittelt, nicht allein zu sein, und queere Themen und Lebensrealitäten werden vor Ort in den öffentlichen Raum getragen. Es sind also Strategien, die auf Sichtbarkeit zielen, während diese gleichsam zur Gefahr werden kann. Neben den vor Ort auftretenden Neonazis, ist dabei vordergründig das Agieren von extrem rechten Medienaktivisten hervorzuheben. Den Wurzener CSD begleitete der AfD-Politiker Sebastian Weber, der unter dem Pseudonym WeichreiteTV auftritt.[2] Dieser filmte die Bühne und die Teilnehmenden des CSD Wurzen ab. Seine Livestreams erreichen dabei vorrangig ein extrem rechtes Publikum, dem so die Aufnahmen von den Anwesenden des CSDs zugänglich ist. Gerade für queere Personen, die im ländlichen Raum leben, stellt das ein Problem dar. Zum Teil sind diese zuvor nicht als queere Menschen in Erscheinung getreten, können nun aber identifiziert werden und sind so potenziell zukünftigen Bedrohungen ausgesetzt.
Der CSD in Wurzen zog durch die Stadt – trotz der anwesenden Neonazis. Zahlreiche Initiativen waren vor Ort, etwa RosaLinde e.V. und Bellis Leipzig e.V. Verschiedene Menschen aus Wurzen hielten Redebeiträge und auch die Gleichstellungsbeauftragte des Landkreises Leipzig sprach auf der Bühne. Ferner wurde ein umfassendes Kulturprogramm mit Rap, Tanz und einem Bandauftritt angeboten. Der CSD und sein Rahmenprogramm zeigen zwar die Stärke und Vielfalt der queeren Szene und ihrer Verbündeten, trotz der für sie bestehenden Bedrohungslage. Besorgniserregend ist jedoch, dass es kaum möglich ist, die CSDs des ländlichen Raumes in Ostdeutschland ohne ihre Bedrohung durch die extreme Rechte zu betrachten. Gerade im Kontext von CSD-Veranstaltungen präsentiert die extreme Rechte ihr wiedergewonnenes Selbstbewusstsein und eine junge Generation an Neonazis, deren Auftreten mitunter an den Stil der 1990er Jahre erinnert, scheint solche Gegenproteste als Erprobungsraum für ihr Agieren auf der Straße zu nutzen. Man kann diese extrem rechten Mobilisierungen im Rahmen von CSD-Veranstaltungen nicht ignorieren. Was bleibt, ist die Möglichkeit, die eigene Reichhaltigkeit queerer Kultur als Stärke zu betonen und deutlich zu machen, dass sexuelle sowie geschlechtliche Vielfalt sichtbar werden kann.
Das Netzwerk für Demokratische Kultur (NDK) verbindet Menschen, die Haltung zeigen und sich für eine demokratische Kultur in der Region, gelebte Mitmenschlichkeit und Mitbestimmung, Nachhaltigkeit und Freiheit engagieren. Mit Bildungsarbeit, kulturellen Veranstaltungen, Vernetzung, Begegnung und Information wollen wir die weitere Entwicklung einer aktiven demokratischen Zivilgesellschaft in der Region unterstützen.
[1] IDAHOBIT steht für international day against homophobia, biphobia, and transphobia und heißt auf Deutsch übersetzt: internationaler Tag gegen Homo-, Bi- und Transfeindlichkeit.
[2] Ausführliche Informationen zu dem Wirken des extrem rechten Medienaktivisten WeichreiteTV bietet das chronik.LE-Dossier: Auf der Straße und im Parlament: Der rechte Medienaktivist „WeichreiteTV“
Zuletzt aktualisiert am 02.06.2025