01.06.2011
Das Projekt Chronik.LE dokumentiert nach eigener Definition "faschistische, rassistische und diskriminierende Aktivitäten" in Leipzig und den umliegenden Landkreisen. In den Jahren 2008 und 2010 wurde es über den Lokalen Aktionsplan mit Mitteln aus dem Bundesprogramm "Vielfalt tut gut" gefördert. Sprecher Jens Frohburg erläutert im Gespräch mit L-IZ.de die Beweggründe dafür, das Demokratieverständnis der Regierungskoalition in Frage zu stellen.
Die vorwiegend von Engagierten des linken politischen Spektrums unterstützte Kampagne "Sachsens Demokratie" richtet sich gegen das in Sachsen derzeit gepflegte Verständnis von Demokratie. Ihr unterstützt den Protest. Wie stellt sich die sächsische Demokratie aus eurer Perspektive dar?
Freilich gibt es nicht die eine "Sächsische Demokratie". Allerdings wird in Sachsen die Auseinandersetzung darüber, was als demokratisch gelten soll und was nicht, momentan besonders scharf geführt. Dabei versuchen insbesondere konservative politische Kräfte aus den Reihen von CDU und FDP, ein formalistisches, beschränktes Demokratieverständnis durchzusetzen. Dazu greifen sie im Zweifelsfall auch auf staatliche Repressionsmaßnahmen zurück.
Welche Maßnahmen kommen euch in den Sinn, wenn ihr von Repression sprecht?
Dazu hat es in der letzten Zeit etliche Beispiele gegeben. Neben dem Zwang zur Unterzeichnung von Extremismus- und Zensurklauseln für zivilgesellschaftliche Initiativen der Demokratiearbeit wird gegen jene, die vermeintlich am "linken Rand" stehen, härter durchgegriffen. Im Vorfeld der Neonazidemo am 13. Februar 2010 in Dresden kam es zur Durchsuchung von Parteibüros und zur Beschlagnahmung von Mobilisierungsplakaten von "Dresden Nazifrei". Die Website der Initiative wurde gesperrt. Bis heute wird von Seiten der Staatsanwaltschaft gegen einzelne Politiker der Partei "Die Linke" ermittelt, weil sie an den Protesten teilgenommen haben. In diesem Jahr wurden Proteste der Nazigegner in Sicht- und Hörweite komplett verboten.
Am Abend des 19. Februars wurde ein Parteibüro der Linken durch die Polizei gestürmt. Seitdem wird wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung ermittelt. In diesem Zusammenhang gab es im April und Mai weitere Razzien gegen vermeintliche "Linksextremisten", vor allem in Dresden und Leipzig. Die Kampagne "Sachsens Demokratie" weist zu Recht darauf hin, dass die Zusammenhänge zwischen den Beschuldigten und den ihnen vorgeworfenen Straftaten nebulös bleiben. Polizei und Staatsanwaltschaft schöpfen trotzdem das volle Arsenal des Gesinnungs- und Ermittlungsparagraphen 129 StPO aus – bis hin zu weitreichenden Telefonüberwachungen, Observationen und verdeckten Ermittlungen.
Worin seht ihr ein Problem des Demokratie-Verständnisses der sächsischen Regierungsparteien?
Demokratie wird durch sie auf die schwammige Formel der "freiheitlich-demokratischen Grundordnung" (FdGO) reduziert. Auf inhaltliche Aspekte kommt es der Regierung dabei gar nicht an. Es wird lediglich ein Bekenntnis zu dieser Formel gefordert. Wer dies hinterfragt, demaskiert sich nach Ansicht des Innenministers als "Anti-Demokrat" - ein seltsames Verständnis von Demokratie und Meinungsfreiheit. Zudem ordnet der Verfassungsschutz mehr oder weniger willkürlich bestimmte Vorfälle dem Phänomenbereich "Linksextremismus" zu - darunter die alljährliche Schneeballschlacht am Connewitzer Kreuz oder die Teilnahme der Kampagne "Fence Off" an einer Demonstration gegen das NPD-Zentrum in der Odermannstraße.
Damit wird das Phänomen "Linksextremismus" erst erzeugt und gleichzeitig so kategorisierte Positionen und Personen von vornherein aus dem Bereich des politisch Zulässigen ausgegrenzt. In diesem Zuge geraten auch kritische Positionen gegenüber bestimmten staatlichen Praktiken, die durchaus diskriminierend sind, wie z. B. institutioneller Rassismus, in den Verruf "antidemokratisch zu sein.
Was versteht ihr unter institutionellem Rassismus? Worin äußert sich dieser?
Institutioneller Rassismus als eine Form von institutioneller Diskriminierung kann direkt in Form von Gesetzen (z. B. im Asylrecht) oder indirekt durch spezifische Praktiken und Wertvorstellungen in der Arbeit bestimmter Institutionen (z. B. Ämter, Polizei oder Justiz) wirksam werden. Dadurch kommt es zwangsläufig und oft ohne individuelle Absicht zur Herabwürdigung oder zum Ausschluss bestimmter gesellschaftlicher Gruppen.
Könnt ihr dafür Beispiele nennen?
Ein Beispiel aus unserer Chronik sind rassistische Äußerungen einer Mitarbeiterin des Leipziger Gesundheitsamtes, die diese gar nicht als solche gemeint hat, die aber von der Betroffenen als beleidigend und herabwürdigend empfunden worden sind. Weitere Beispiele finden sich auch in unserer Broschürenreihe "Leipziger Zustände".
Seht ihr also Sachsens Demokratie in Gefahr?
Kritikverbote gegen die Zivilgesellschaft, die Ausgrenzung politischer Positionen als "linksextrem" und die Ausweitung staatlicher Repressionen sind sicherlich nicht dazu geeignet, demokratische Strukturen in Sachsen zu befördern. Ergebnis dieser konservativen Politikmanöver ist nicht eine Stärkung der Demokratie, sondern ihre Beschränkung. Von den eigenen Vorstellungen abweichendes politisches Verhalten soll überwacht werden, um gegebenenfalls repressiv dagegen vorgehen zu können. Die Demokratie in Sachsen nimmt derzeit deutlich autoritäre Züge an. Gerade jetzt brauchen wir also selbstbewusste zivilgesellschaftliche Akteure, die sich laut und deutlich kritisch gegenüber dieser Entwicklung äußern. Darum hat es uns sehr gefreut, dass die Erklärung der Kampagne soviel Zuspruch gefunden hat.
Wie sieht euer Verständnis von „Demokratie“ aus?
Demokratie ist kein formalistisches Gebilde, das ein für alle mal von Gerichten festgelegt wird. Vielmehr ist Demokratie ein fortlaufender Prozess mit dem Ziel der gleichberechtigten Teilhabe aller. Demokratisches Engagement muss danach streben, denjenigen Gehör zu verschaffen, die bislang keine Stimme hatten. Sachsens CDU und FDP scheinen dagegen all jenen ihre Stimme verbieten zu wollen, die Missstände öffentlich anprangern. Das können genauso illegalisierte Migranten sein wie nicht-rechte Jugendliche in der sächsischen Provinz, die sich mit Linksextremismus-Vorwürfen herumschlagen müssen.
Die Erklärung richtet sich gegen die Kriminalisierung antifaschistischen Engagements. Habt ihr bereits Probleme mit sächsischen Strafverfolgungsbehörden gehabt?
Nein. Allerdings würden wir uns wünschen, dass die Pressestellen der Polizei noch angemessener auf unsere journalistischen Anfragen reagieren. In ihrer eigenen Berichterstattung sollten sie sich öfter an die Regeln des Pressekodex für einen nicht-diskriminierenden Sprachgebrauch halten.
Ihr seit zweimal durch den Lokalen Aktionsplan gefördert worden. Würdet ihr heute nochmal Gelder beantragen, solange die Förderung von der Unterzeichnung der Extremismus-Klausel abhängt?
Wir lehnen die Klausel inhaltlich ab und würden sie entsprechend auch nicht unterzeichnen.
Das Interiew führte Patrick Limbach
Weitere Informationen zum Thema:
Dossier: Die Extremismusklausel ist keine Demokratieklausel
Stellungnahme: chronik.LE solidarisiert sich mit dem Leipziger Protest gegen die Extremismusklausel
chronik.LE unterstützt die Erklärung der Initiativgruppe "Sachsens Demokratie"
Quelle des Interviews: L-IZ.de vom 27.05.2011
Zuletzt aktualisiert am 05.02.2022