27.09.2024
Vor 20 Jahren betrat der neugegründete 1. FC LOKOMOTIVE LEIPZIG die Bühne des Fußballs. Seither spielen beim Club aus Probstheida auch neonazistische und extrem rechte Fans eine bedeutende Rolle. Anlass für einen kritischen Rückblick auf das Treiben auf und neben den Rängen des Bruno-Plache-Stadions.
Das Jahr 2004 stellt eine Wegmarke in der jüngeren Vergangenheit von LOK LEIPZIG dar. An die Stelle des insolventen VFB LEIPZIG trat der zuvor neugegründete 1. FC LOKOMOTIVE LEIPZIG (LOK LEIPZIG). Und während Lok fußballerisch zunächst ein Dasein in den Niederungen des Amateurfußballs fristete, entwickelten sich auf den Rängen Aktivitäten verschiedener Fangruppierungen. Insgesamt lässt sich seitdem von einer rechten Hegemonie in der Fanszene sprechen. Diese soll, genauso wie Veränderungen in der Fanszene, nachfolgend in groben Zügen skizziert werden
Auf der Website des 1. FC LOKOMOTIVE LEIPZIG befindet sich ein Leitbild, welches in sieben Aspekten die Besonderheit des Vereins mit den Farben Blau und Gelb hervorhebt. Neben „Identifikation. Leidenschaft. Herzblut“ (Leitsatz 1) und „Tradition. Mythos. Kultur“ [1](Leitsatz 3) finden sich hier auch Ausführungen zu „Blau-Gelber Nestwärme“ (Leitsatz 6). Hier ist unter anderem zu lesen: „Wir vermitteln Werte wie Loyalität, Respekt, Fairness und Toleranz. Wir üben Solidarität mit in Not geratenen Menschen und zeigen uns hilfsbereit gegenüber Benachteiligten. Wir treten aktiv und konsequent gegen jede Form von Diskriminierung auf.“ Doch wie verhält es sich mit diesem Leitsatz in der Realität? Einige Ereignisse im Verein lassen Zweifel an der beschworenen Ausrichtung aufkommen.
29.04.2018 Leipzig-Probstheida:
Ein Co-Trainer der B1-Mannschaft des 1. FC LOKOMOTIVE LEIPZIG fordert sein Team auf, für ein Mannschaftsfoto den Hitlergruß zu zeigen. Die (meisten) Jugendlichen kommen der Aufforderung nach. Das Foto wird öffentlich, da es über eine WhatsApp-Gruppe geteilt wird. Wenige Tage nach dem Vorfall entlässt Lok Leipzig die beiden Nachwuchstrainer, stellt Strafanzeige und verhängt nach eigenen Angaben ein lebenslanges Hausverbot. (Chronik-Eintrag vom 29.04.2018)
29.09.2022 Leipzig:
Der Stadionsprecher vom 1. FC LOKOMOTIVE LEIPZIG, Mirko Linke, veröffentlicht als WhatsApp-Status ein Bild, welches das Gesicht von „Meister Propper“ zeigt. In den Sonnenbrillengläsern der Figur spiegeln sich die Zuggleise sowie das Eingangstor des nationalsozialistischen Vernichtungslagers Auschwitz. Unter der Grafik ist „Good Night Green White“ zu lesen. Damit bezieht sich Linke – bewusst oder unbewusst – auf die Vernichtung von Juden*Jüdinnen, politischen Gegner*innen, Homosexuellen, Rom*nja und Sinti*zze und weiteren Gruppen im historischen Nationalsozialismus und fordert diese ebenfalls für die Fans des gegnerischen Vereins BSG CHEMIE LEIPZIG. Linke wird kurz darauf vom Verein entlassen. Über 1.200 Personen unterschrieben in der Folge eine Petition, die sich gegen die Entlassung des Stadionsprechers aussprach und das Handeln des Vereins als „völlig übertrieben“ (Change.org-Petition) kritisierte. Eine derartige Entrüstung der Fanszene in Bezug auf die extrem rechten Umtriebe im eigenen Stadion lässt hingegen auf sich warten. (Chronik-Eintrag vom 29.09.2022)
Obwohl Lok zunächst in niedrigeren Amateurliegen spielte, formierten sich auf den Rängen des Lok-Stadions verschiedene Fangruppierungen, unter ihnen die dominierenden Gruppen SCENARIO LOK, ULTRAS LOK LEIPZIG, BLUE CAPS und BLUE SIDE. Von Beginn an waren diese Gruppen – mit Ausnahme von BLUE SIDE – Teil der extremen Rechten oder stark mit dieser verwoben.
05.02.2006 Leipzig-Probstheida:
Während des Landespokalspiels der A-Jugendmannschaften von LOK LEIPZIG und FC SACHSEN LEIPZIG formierten sich ca. 45 Lok-Fans im Bruno-Plache-Stadion zu einem Hakenkreuz. Nach einjähriger Ermittlung erklärte die Staatsanwaltschaft Leipzig im Februar 2007, dass der „missbilligende Versuch der Darstellung eines Hakenkreuzes strafrechtlich nicht verfolgbar“ sei. Somit bleibt das von Lok-Fans gebildete Hakenkreuz ohne juristische Folgen. (Chronik-Eintrag vom 05.02.2006)
Mit Enrico Böhm[2] war ein zukünftiger NPD-Stadtrat und eine zu dieser Zeit prominente Figur der Leipziger Neonaziszene im Umfeld der BLUE CAPS anzutreffen und auf der Webseite der Gruppe wurde für Neonaziaufmärsche in Leipzig geworben. (Vgl. Freitag 2018a) Im Umfeld von SCENARIO LOK, 2004 als Ultra-Gruppierung gegründet, bewegten sich zahlreiche Neonazis. Die Überschneidungen zwischen SCENARIO LOK und der Neonazi-Gruppierung FREIE KRÄFTE LEIPZIG waren unübersehbar. Außerdem waren mehrere Personen aus dem Umfeld von SCENARIO später maßgeblich für den Brückenschlag der Fan- und Hooliganszene zum Kampfsport verantwortlich und prägten das IMPERIUM FIGHT TEAM. Die Verankerung von SCENARIO im Neonazismus war derart eklatant, dass sogar der sächsische Verfassungsschutz auf die Gruppen aufmerksam wurde und sie in seinen Berichten aufführte.
Bild 1: Neonazistische Lok-Fans, darunter unter anderem Benjamin Brinsa, hinter dem Banner der ULTRAS LOK, 2008.
Der Verein selbst handelte in den 2000er-Jahren meist zögerlich und vornehmlich in Reaktion auf öffentliche Problematisierungen der neonazistischen Umtriebe in seiner Kurve. Nach Ausschreitungen bei einem Spiel im Jahr 2007 sowie einem schweren Angriff auf eine Feier von Fans der rivalisierenden BSG CHEMIE LEIPZIG wurden Neonazis der BLUE CAPS mit einem Stadionverbot belegt und das Zeigen von Symbolen der Gruppe wurde untersagt. Im Umfeld des Stadions war die Gruppe jedoch bis zur ihrer Auflösung 2011 aktiv. Ebenfalls betroffen von Hausverboten waren Mitglieder von SCENARIO LOK, während sich die ULTRAS LOK LEIPZIG, auf deren Banner ein „Nationaler Widerstand“-Schriftzug angebracht war, gänzlich auflösten und in die Reihen von SCENARIO LOK übergingen, ohne dabei ideologische Abstriche fürchten zu müssen (Vgl. chronik.LE 2013). Die 2000er-Jahre sind von einer Hegemonie der extremen Rechten in der Fankurve vom 1. FC LOKOMOTIVE LEIPZIG gekennzeichnet. Gruppen, die sich dem rechten Mainstream widersetzten, hatten es in dieser Zeit schwer im Bruno-Plache-Stadion. So wurde BLUE SIDE LOK, nachdem sich die Gruppe von neonazistischen Mitgliedern distanzierte und diese ausschließen wollte, im Jahr 2010 unter Beteiligung von SCENARIO LOK-Mitgliedern kurzerhand und unter Androhung von Gewalt aufgelöst.[3] Die Dominanz der extremen Rechten in der Fanszene setzte sich ab 2011 unter dem Dach der FANSZENE LOKOMOTIVE fort, die vorgab, verschiedene Fangruppen einen zu wollen. Tonangebend war in ihr jedoch bis zur Auflösung 2014 SCENARIO LOK. Das Ende der Gruppe war die Antwort auf ein Auftrittsverbot seitens des Vereins. Grund hierfür waren unter anderem Ausschreitungen bei einem Gastspiel des 1. FC LOKOMOTIVE beim SV BABELSBERG 2013 und damit verbundene mediale Aufmerksamkeit. Es folgten nicht nur Angriffe auf das eigene Vereinsgelände, die mit der Botschaft „Scenario, Wir lassen uns nicht verbieten“ versehen waren (Vgl. Freitag 2018b). Auch ein Strategiewechsel weg vom Auftreten und der Organisierung als Gruppe setzte zu dieser Zeit in der extrem rechten Fan- und Hooliganszene ein.
18.08.2012, Leipzig-Lindenau:
Am Samstagabend wird in Lindenau ein Sommerfest aufgrund von Drohungen und massiven Einschüchterungen von Neonazis aus dem nahegelegenen Nazizentrum in der Odermannstraße 8 vorzeitig beendet. Im Anschluss werfen Neonazis Pflastersteine auf Besucher*innen des Sommerfests und auf herbeigerufene Polizeibeamte. Laut Aussagen von Augenzeug*innen wurde in dem Objekt in der Odermannstraße mit Lagerfeuer, lauter Musik und Gegröle gefeiert. Wenig später waren laute „Sieg Heil“-Sprechchöre zu vernehmen, außerdem Solidaritätsbekundungen mit dem „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU). Im Verlauf der Nacht bedrohen, bepöbeln und filmen mehrere alkoholisierte Neonazis Besucher*innen des Kunstvereins. Laut Augenzeug*innenberichten handelt es sich bei den Personen aus der Odermannstraße um angetrunkene Männer, von denen ein Teil blaue T-Shirts mit der Aufschrift „Leipziger Tradition“ trägt. Wie sich später herausstellt, handelt es sich dabei um ein T-Shirt, welches von der Lok-Fangruppierung SCENARIO hergestellt und verkauft wird. Zum Duell zwischen LOK LEIPZIG und RB LEIPZIG tragen ein großer Teil der Anhänger*innenschaft sowie Betreuer des Vereins dieses T-Shirt. (Chronik-Eintrag vom 18.08.2012)
Fortan wurden Betätigungsfelder und Strukturen außerhalb der Fankurve etabliert, die in ihnen aktiven Personen wirkten jedoch weiterhin in die Fanszene hinein. Mit der Rockergang ROWDYS EASTSIDE bildete sich um das Jahr 2015 beispielsweise ein Motorradclub, dem bis heute maßgeblich Personen aus der extrem rechten Fan- und Hooliganszene des Vereins sowie dem organisierten Neonazismus angehören. Enge Kontakte unterhalten die Lok-Biker ins Rotlicht- und Rockermilieu.
Bereits seit 2013 trat mit dem BOXCLUB LOKOMOTIVE zudem eine Gruppe mit personellen Überschneidungen mit SCENARIO LOK auf, bei der die Verschränkung von Fanszene und Kampfsport bereits im Namen anklingt.
Bild 2: Selbstinszenierung extrem rechter Kampfsportler als BOXCLUB LOKOMOTIVE, 2013, Quelle: Facebook
Die Kampfsportaktivitäten des Boxclubs professionalisierten sich in der Folge zunehmend und die Gruppe firmierte ab 2014 unter dem Namen IMPERIUM FIGHT TEAM (IFT). Der führende Kopf des IFT, Benjamin „The Hooligan“ Brinsa [4], strebte zeitweise eine Karriere als professioneller MMA-Kämpfer an. Unter der Beteiligung des IFT etablierte sich ab 2014 die Veranstaltungsreihe IMPERIUM FIGHTING CHAMPIONSHIP (IFC), ein Kampfsportevent, welches bis 2016 fünf Auflagen erlebte und zu Spitzenzeiten bis zu 1.500 Besucher*innen anlockte, die „größtenteils aus der sächsischen Hooliganszene, extrem rechten Strukturen und von den Leipziger Hells Angels“[5] stammten [6]. Bei dem letzten Event trat unter anderem Timo Feucht[7] an. Als Hauptkämpfer trug er an diesem Abend eine blauweiße Flagge mit dem Schriftzug „VfB Hooligans“ zum Käfig, was auf den Vorgängerverein von Lok Bezug nimmt.
Neben dem Versuch mit der IFC ein kommerzielles Kampfsportevent in der Stadt zu verankern, bemühte sich das IFT außerdem um den Aufbau professioneller Trainingsstrukturen. Zunächst in Eilenburg, später in der Kamenzer Straße in Leipzig, ab 2020 in Taucha (Pressemitteilung chronik.LE 2020) beheimatet, verfügt das IFT über ein eigenes Gym, in dem extrem rechte Fans und Hooligans von Lok Leipzig trainieren und ihre Gewaltkompetenzen schulen. Dass diese nicht nur in sogenannten „Ackerkämpfen“ zwischen Hooligans oder im Rahmen von Kampfsportveranstaltungen eingesetzt werden, sondern auch gegen politische Gegner*innen und Menschen, die nicht ins extrem rechte Weltbild passen, zeigte sich bei verschiedenen Angriffen. So waren etliche Kämpfer des IFTs Teil des organisierten Überfalls auf den Leipziger Stadtteil Connewitz am 11. Januar 2016, bei dem über 250 Neonazis durch das Viertel zogen, einen ganzen Straßenzug demolierten und Menschen angriffen (Vgl. Chronik-Eintrag vom 11.01.2016). Im selben Jahr sammelte sich eine Gruppe von Lok-Hooligans und IFT-Kämpfern für einen Überfall auf Fans der BSG CHEMIE LEIPZIG während eines Spiels in Gera (Vgl. Antifa in Leipzig 2016a).
Während die Mehrheit der Angreifer der genannten Vorfälle seit Jahren in der extrem rechten Fan- und Hooliganszene von LOK LEIPZIG verkehrte, waren auch einige deutlich jüngere Lok-Fans beteiligt. Die Integration des Nachwuchses setzte sich in den kommenden Jahren fort, wobei das IFT eine zentrale Rolle spielte. So verkörpern zentrale Figuren des IFT, wie etwa Benjamin Brinsa, ein Männlichkeitsbild, welches auf Autorität, Männlichkeit und ökonomischem Erfolg basiert und damit auf gewisse junge Männer in Leipzig und den angrenzenden Landkreisen anziehend zu wirken scheint. Mit Johannes H. und Robert F. waren es zwei dieser jungen Männer, die im Sommer 2019 im Rahmen einer Reise von circa 70 Lok-Fans nach Mallorca in einer dortigen Diskothek einen senegalesischen Türsteher derart schwer zusammenschlugen, dass dieser zeitweise in Lebensgefahr schwebte und bleibende Schäden von dem Angriff davontrug (Vgl. Chronik-Eintrag vom 07.06.2019). Auf den Handys der Täter wurden nach ihrer Verhaftung rassistische und den Nationalsozialismus verherrlichende Bilder gefunden (Vgl. Antifa in Leipzig 2016b). Ihre Gewaltkompetenz hatten die beiden Angreifer unter anderem im Rahmen von Trainingseinheiten im IFT geschult. Innerhalb der extrem rechten Fanszene von Lok erlebten die beiden Täter eine Welle der Solidarität, inklusive Spendensammlung und glorifizierenden T-Shirts mit der Aufschrift „Troublemakers Mallorca“.
Bild 3: Soli-Shirt für die beiden Angeklagten Johannes H. und Robert F. nach dem schweren rassistischen Angriff im Juni 2019 auf Mallorca. Auf der Rückseite des T-Shirts wird der Angriff stilisiert dargestellt und glorifiziert, 2019.
Einige Wochen zuvor posierten die beiden Täter noch in einer Gruppe von rund 50 jungen Neonazis und Lok-Fans am Rande des Wurzener Bahnhofs – etliche von ihnen trainierten im IFT. Anlass war das Spiel des Fußballvereins ATSV FRISCH AUF WURZEN gegen den linken Verein ROTER STERN LEIPZIG.
Im Nachgang griff ein Teil dieser Gruppe das Gebäude des örtlichen NETZWERKS FÜR DEMOKRATISCHE KULTUR E.V. an (Vgl. Chronik-Eintrag vom 12.05.2019). Wie sich später herausstelle, stand einer der Angreifer auf der Wahlliste des NEUEN FORUMS FÜR WURZEN, ebenjener Liste, für die Benjamin Brinsa in Wurzen in den Stadtrat gewählt wurde (Vgl. Chronik-Beitrag vom 16.11.2019).
Bild 4: Junge Lok-Fans und Neonazis bei einem Amateurspiel in Wurzen, 2019.
Wie ihre Vorbilder aus Loks extrem rechter Fan- und Hooliganszene beschränkte sich die junge Generation jedoch nicht auf rassistische Angriffe und die Konfrontation mit politischen Gegner*innen. Einige junge Männer traten, gecoacht von den Führungsfiguren des IFT, bei professionellen Kampfsportevents an, sie beteiligten sich abseits des Stadions an Hooligankämpfen und drängten, unter anderem in Gestalt der seit etwa 2020 auftretenden Gruppierung BANDA RESOLUTA, auch in die Kurve des Bruno-Plache-Stadions. Dort hatte sich in den Jahren zuvor mit der FANKURVE 1966 eine Gruppe etabliert, die von sich selbst behauptet, „menschenverachtendes Gedankengut“ abzulehnen und das Engagement der ehemaligen Gruppe BLUE SIDE LOK fortzuführen. Inzwischen tritt die Gruppe wieder offen unter dem Namen BLUE SIDE LOK auf, teilt sich den Block jedoch scheinbar konfliktfrei mit Gruppen wie BANDA RESOLUTA.
Bild 5: Benjamin Brinsa (4. v. r.) und andere extrem rechte Lok-Fans Arm in Arm mit dem Team des 1. FC Lokomotive, 2022.
Wer in der Kurve weiterhin tonangebend ist, zeigte nicht zuletzt eine Szene im Nachgang des Derbysiegs von Lok gegen den Rivalen BSG CHEMIE im Oktober 2022. Als das Team vor der Fankurve mit einem Banner mit der Aufschrift „Derbysieg“ posierte, gab es nur eine Handvoll Fans, die sich einreihen durften. Darunter waren, neben einer Person mit einem Solidaritätsshirt für den Neonazi Peter „Bombe“ Kühnel, auch Benjamin Brinsa und sein Kompagnon aus dem IFT, Fabian N., seines Zeichens extrem rechter Kampfsportler, der in der Vergangenheit in einem T-Shirt des III. Wegs beim neonazistischen Kampfsportevent KAMPF DER NIBELUNGEN antrat (ausführlicher bei Antifa in Leipzig 2023).
Das T-Shirt für „Bombe“ galt dem Neonazi Peter „Bombe“ Kühnel[8] aus Borna. Dieser war gemeinsam mit Sebastian R. aus Dresden im Dezember 2022 in London zu Haftstrafen verurteilt worden. Zuvor hatten die beiden im September zusammen mit anderen Hooligans einen Pub in der Nähe des Wembley-Stadions überfallen, wo am selben Tag ein Länderspiel zwischen England und Deutschland stattfand. Dabei waren mehrere Menschen verletzt worden, fünf Personen mussten im Krankenhaus behandelt werden (Vgl. MDR 2022). Die Inhaftierung von Kühnel führte zu zahlreichen Solidaritätsaktionen inner- und außerhalb des Stadions.
Bild 6: Extrem rechte Lok-Fans posieren im Soli-Shirt für Peter Kühnel, 2022.
Bild 7: Soli-Banner für den inhaftierten Peter Kühnel, 2023.
Neben den Aktivitäten im Stadion lassen sich in der Region Leipzig Raumnahmeversuche von extrem rechten Lokfans beobachten. Neonazistische und extrem rechte Aufkleber, Tags und Graffiti gehen immer wieder mit Bekenntnissen zum 1. FC LOKOMOTIVE einher. Häufig handelt es sich dabei um einfache Schriftzüge mit Inhalten wie „Lok“ oder „1966“, die in unmittelbarer Nähe zu Hakenkreuzen oder nationalsozialistischen Parolen stehen.
Bilder 8, 9, 10: Neonazistische Parolen und Symbole neben Bekentnissen zum 1. FC Lokomotive. Beispiele aus Leipzig (2022), Mockrehna (2022) und Wurzen (2024).
In anderen Fällen sind extrem rechte Ideologie und Vereinsbezüge noch enger verschränkt. So wurden in den letzten Jahren verschiedene Aufkleber und Kleidungsstücke aus der Fanszene in Umlauf gebracht, die nationalistische, antisemitische und gegen politische Gegner*innen gerichtete Inhalte mit Bekenntnissen zum 1. FC Lokomotive verbinden.
Bilder 11, 12, 13: Sticker aus der Lok-Fanszene mit antisemitischen, nationalistischen und gegen politische Gegner*innen gerichteten Inhalten, 2023 und 2024.
Mehrfach wurden in der jüngeren Vergangenheit außerdem Einrichtungen von politischen Gegner*innen der extremen Rechten mit Lok-Stickern markiert. Hierbei scheint das Bekenntnis zum 1. FC Lokomotive zugleich als politische Botschaft an missliebige Personen und Einrichtungen zu dienen.
Bilder 14, 15, 16: Ein Jugendtreff in Holzhausen (2023), das Mit-Mach Café in Wurzen (2024) und ein Streetwork-Büro in Paunsdorf (2024) wurden zum Ziel von Einschüchterungsversuchen.
Es bleibt jedoch nicht bei Raumnahmeversuchen und Sachbeschädigungen. Aus Gruppen von Lok-Fans kam es in der Vergangenheit zudem wiederholt zu verbalen und physischen Übergriffen, insgesamt sind 20 solcher Ereignisse seit dem Jahr 2019 bei chronik.LE dokumentiert. Wiederkehrende Motive sind dabei Rassismus, Antisemitismus, Antifeminismus und die Ablehnung politischer Gegner*innen
02.03.2019, Leipzig-Zentrum:
Ein 22-jähriger Asylsuchender steigt an der Haltestelle Ostplatz in die Straßenbahn und wird unmittelbar danach von mehreren Fahrgästen rassistisch beleidigt und bepöbelt. Als die Bahn kurz darauf den Augustusplatz erreicht, drängen die Täter den Asylsuchenden aus der Bahn und steigen mit ihm aus. Am Augustusplatz schlagen sie auf ihn ein und fügen ihm dabei Verletzungen zu. Anwesende Polizist*innen schreiten ein und nehmen die Personalien von acht alkoholisierten Angreifern (23–40) auf. Die Täter befinden sich auf der Abreise von einem Spiel des 1. FC Lokomotive Leipzig und tragen bei der Tat Fanutensilien des Vereins aus Probstheida. (Chronik-Eintrag vom 02.03.2019)
28.05.2023, Zwenkau (Landkreis Leipzig)
Als eine Gruppe von vier Personen auf dem Weg in eine Kleingartenanlage ist, wird diese unvermittelt von vier weiteren, schwarz gekleideten Männern angesprochen und als „Zecken“ tituliert. Nachdem die Gruppe die vier Männer ignoriert, beginnen diese, die Personengruppe auf ihrem Weg in die Kleingartenanlage zu verfolgen. Dabei rufen sie unter anderem „Sieg Heil“, die den Holocaust verherrlichende Parole „Arbeit mach frei – Babelsberg 03“ sowie „Wir kommen aus der Reichsmessestadt“. Auf einer portablen Musikbox spielen die Verfolger zudem verschiedene RechtsRock-Songs, aber auch den in der Fanszene vom 1. FC Lokomotive Leipzig beliebten Song „LOK“ der Band Unantastbar ab. (Chronik-Eintrag vom 28.05.2023)
Der kursorische Blick auf die Fanszene des 1. FC LOKOMOTIVE LEIPZIG der letzten 20 Jahre stellt die Kontinuität der extrem rechten Aktivitäten beim Verein aus Probstheida heraus. Diese Beständigkeit wird unter anderem in verschiedenen Formen rechter Raumnahme sowie verbalen und physischen Angriffen sichtbar, die im Zusammenhang mit dem 1. FC Lokomotive Leipzig stattfinden.
Das Auftreten der extremen Rechten bei Lok hat sich im Laufe der Zeit gewandelt. Eine derart enge Anbindung an neonazistische Strukturen, wie sie in den 2000er Jahren Teile der Fanszene kennzeichnete, ist gegenwärtig nicht zu beobachten. Dies geht zeitlich mit einem einsetzenden Bedeutungsverlust von neonazistischen Kameradschaftsstrukturen allgemein einher. Die extrem rechte Fanszene hat sich im vergangenen Jahrzehnt hingegen andere Felder wie den Kampfsport erschlossen und bietet mit diesem ein attraktives Angebot für junge, männliche Lok-Fans. Dass damit keineswegs eine Abkehr von extrem rechten Ideologien einhergeht, hat sich in den letzten Jahren wiederholt gezeigt. So zeichnen sich Fanszenen durch eine besondere Tendenz zur männerbündischen Vergemeinschaftung aus. Gleiches gilt für den Kampfsport, bei dem darüber hinaus dem Ideal einer „soldatischen Männlichkeit“ nachgeeifert werden kann. Autoritäre und sozialdarwinistische Einstellungen können hier ebenso gedeihen wie maskulinistische Vorstellungen, die mit Antifeminismus und LGBTQI*-Feindlichkeit einhergehen. Zwar muss dies nicht zwangsläufig so sein, da es emanzipatorische Bestrebungen im Kampfsport ebenso gibt wie auch in der Fan- und Ultrakultur. Und auch bei Lok gibt es zarte Bestrebungen, die rechte Hegemonie zurückzudrängen. Eine umfassende Strategie, die über ein Lippenbekenntnis hinausgeht, wurde in den vergangenen 20 Jahren jedoch nicht gefunden.
Ergänzungen, Fragen, Anmerkungen und Kritik gerne an chronik.LE@engagiertewissenschaft.de
[1] Erstaunlicherweise finden sich weder im Leitbild noch in der öffentlichen Darstellung des Vereins relevante Bezugspunkte zum Namensgeber des Stadions, dem Leichtathlet Bruno Plache (1908–1949). Dieser gehörte bis 1928 dem Arbeiter-Turn- und Sportbund sowie der SPD an. Nach der Teilnahme an einer Spartakiade in Moskau wird er aus beiden ausgeschlossen und tritt der KPD sowie dem Arbeitersportverband ROTSPORT bei. 1929 zieht Plache als jüngster Abgeordneter in das Leipziger Stadtparlament ein. 1933 wird er mehrere Monate im KZ Sachsenburg inhaftiert.
[2] Enrico Böhm (*1982) war von 2014 bis 2019 Stadtrat für die NPD. Er ist mehrfach vorbestraft, unter anderem wegen Nötigung, Beleidigung, Diebstahl, Körperverletzung, Verwendung verfassungsfeindlicher Kennzeichen, falsche eidesstaatliche Versicherung. Zuletzt wurde er im Mai 2024 wegen seiner Beteiligung am Verlag „Der Schelm“ zu zwei Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt.
[3] Einige Schilderungen sprechen von der Bedrohung mit einer Schusswaffe.
[4] Benjamin Brinsa (*1989) strebte ein professionelle MMA-Karriere an, 2013 platzte ein Profivertrag mit dem weltweit größten MMA-Veranstalter ULTIMATE FIGHTING CHAMPIONSHIP aufgrund seiner neonazistischen Verstrickungen. Zwischen 2019 und 2023 saß Brinsa für die rechte Wutbürgervereinigung NEUES FORUM FÜR WURZEN (NFW) im Wurzener Stadtrat. Zeitweise fungierte er als Vorsitzen der der dreiköpfigen NFW-Fraktion. Im September 2023 teilte Brinsa per Mail an die Stadtverwaltung mit, dass er sein Mandat niederlegen wolle. Als Grund gab er „gesteigerte Geschäftsaktivitäten“ an, die ihm nicht mehr erlauben würden, seinen Verpflichtungen als Stadtrat nachzukommen: „Mein Unternehmen hat in den letzten Jahren an Wachstum zugenommen, was zu einer gesteigerten Präsenz meiner Person in diesen führt.“
[5] Claus, Robert (2020): Ihr Kampf. Wie Europas Rechte für den Umsturz trainiert, S. 80.
[6] Ausführlicher zur Entstehung IFT und der IFC siehe chronik.LE (2017): Zwischen „Gauner“ und Imperium Fight Night, in: chronik.LE (Hrsg.): Leipziger Zustände 2016, S. 62–63
[7] Timo Feucht (*1996) half 2014 beim Auszug aus dem NPD-Zentrum in der Odermannstraße 8, ab 2015 trat er mehrfach bei für das IFT beim IFC an. 2016 war er unter den Tätern des Angriffs auf Connewitz zu finden. 2021 wurde bekannt, dass Feucht für die GERMAN AMATEUR MIXED MARTIAL ARTS FEDERATION E.V. (GAMMAF) ein antirassistisches Aushängeschild werden soll – angeblich habe er sich von seinen früheren Taten und ehemaligen Strukturen distanziert. Wie so oft bei vermeintlichen Ausstiegen aus der rechten Szene legte er dabei weder Strukturen der extremen Rechten offen, noch äußerte er sich öffentlich und glaubhaft zu seinen Verstrickungen.
[8] Peter Kühnel (*1987) beteiligte sich mindestens seit 2007 an Neonazi-Aufmärschen in der Region. 2009 kandidierte er bei der Stadtratswahl erfolglos für die NPD. 2012 war er Teil eines Hooligan-Mobs von Lok Leipzig, der bei einem Auswärtsspiel von Lok Leipzig in Babelsberg aufgefallen ist. 2016 war er am Überfall auf Connewitz beteiligt.
Zuletzt aktualisiert am 22.11.2024